Antiamerikanismus: Bizarre Todenhöfer-Show am Brandenburger Tor
Der umstrittene Publizist Jürgen Todenhöfer stellte am 12.11.2020 anlässlich seines 80. Geburtstages in Berlin die Eckpunkte seiner neu gegründeten Partei „Team Todenhöfer“ vor. Wenig überraschend erging er sich dabei vor allem in Antiamerikanismus und populistischer Politikerschelte.
Von Jonas Fedders
Um kurz nach 19 Uhr taucht er auf: Umringt von einer Handvoll Securities betritt Jürgen Todenhöfer den Platz des 18. März, direkt am Brandenburger Tor. Sofort wird er von Kameras belagert, er scheint das Blitzlichtgewitter zu genießen. Einige Menschen eilen herbei, gratulieren ihm zum Geburtstag, jubeln und applaudieren. Es ist ein bizarres Schauspiel. Nach einer Weile bahnen ihm seine Bodyguards den Weg in Richtung der riesigen Bühne, die mit professioneller Beleuchtung und Tontechnik ausgestattet ist und von zwei großen Leinwänden flankiert wird.
Jürgen Todenhöfer ist ein Mann, den man der Einfachheit halber als „umstritten“ bezeichnen könnte. Von 1972 bis 1990 war er CDU-Bundestagsabgeordneter, später startete er seine publizistische Karriere; seither wurde ihm immer wieder eine gewisse Nähe zu Despoten wie Bashar al-Assad nachgesagt. Zudem mimt Todenhöfer seit Jahren den passionierten „Israelkritiker“. Er bezeichnete Gaza als „weltgrößtes Konzentrationslager“ und versuchte, sich der Kritik an der Dämonisierung des jüdischen Staates unter Verweis auf eine angebliche „Antisemitismus-Keule“ zu entledigen.
Nach einem vom Moderator angeleierten Geburtstagsständchen betritt Todenhöfer am Donnerstagabend die Bühne. Es dauert nicht lange, bis er sich in Rage redet. „Lüge und Gewalt sind wieder ganz normale Mittel der deutschen Politik geworden“, poltert er. Deutsche Politiker schickten deutsche Soldaten in Kriege, um „unterwürfig amerikanischen Weltmachtinteressen zu dienen – und dabei lügen sie, dass sich die Balken biegen“. Überhaupt, da ist er sich sicher, werde die Bevölkerung „systematisch belogen“.
Neben dem erwartbaren Antiamerikanismus besticht Todenhöfer an diesem Abend vor allem mit populistischer Politikerschelte. Politiker seien „Sofa-Strategen“, die „keinen anständigen Beruf gelernt“ hätten. Er selbst habe erfahren, was es heiße, „im Schweiße meines Angesichts mein Brot zu verdienen“. Deshalb sei es wichtig, dass Politiker nach einer gewissen Zeit wieder in einen normalen Beruf zurückkehrten – wobei Todenhöfer überzeugt ist, dass diese keine führenden Jobs übernehmen könnten. „Wenn Sie eine Bäckerei hätten, würden Sie Peter Altmaier Ihre Bäckerei übertragen?“, fragt er. „Niemals“, antwortet das Publikum. „Und warum nicht? Weil sie wissen, nach ein paar Jahren fährt er die an die Wand. Oder er isst die Süßigkeiten alle selber!“
Unter den Teilnehmenden befinden sich zu diesem Zeitpunkt auch Personen, die in den vergangenen Monaten an verschwörungsideologischen Corona-Demos in Berlin teilgenommen haben – darunter Nana „Lifestyler“ Domena, der die großen Querdenken-Proteste moderiert hatte und ein Videoprojekt mit dem Neonazi und Rechtsrock-Musiker Frank Kraemer betreibt. Ihn spricht Todenhöfer gegen Ende seiner über eine Stunde währenden Rede namentlich an. Man scheint sich zu kennen. Ein anderer Teilnehmer trägt eine Wollmütze in Schwarz-Weiß-Rot, den Farben des Deutschen Reichs.
Ist es dieses Milieu, das Todenhöfer mit seiner neuen Partei anzusprechen versucht? Er selbst sendet an diesem Abend vermeintlich widersprüchliche Signale: Während er einerseits den Rassismus gegen Muslime beklagt, wettert er im nächsten Atemzug gegen die Bundesregierung, die „uns“ ein „ungelöstes Migrationsproblem“ hinterlasse – „das kann man einfach nicht bestreiten“. Vielleicht ist es gerade diese Widersprüchlichkeit, die Todenhöfer mit seinem neuen Projekt aufzulösen versucht. „Unsere Politikerkaste“, sagt Todenhöfer, „hat die Gesellschaft gespalten in Links und Rechts“. Ein Argument, das man vor allem aus der Querfront-Bewegung kennt. Am Ende bleibt „das Volk“ gegen „die da oben“; ein dichotomes Weltbild, das nur Gut und Böse kennt.
Verwundern kann all das nicht: 2015 veröffentlichte Todenhöfer aus seiner Facebook-Seite das Lied „Nie mehr Krieg“ von Xavier Naidoo. Naidoo, der bereits damals zurecht für seine Ansichten kritisiert wurde, sich aber noch nicht als verschwörungsideologischer QAnon-Jünger geoutet hatte, behauptete in dem Lied etwa, Muslime trügen heute „den neuen Judenstern“. Der SPIEGEL bezeichnete die seltsame Annäherung zwischen Naidoo und Todenhöfer seinerzeit treffend als „heilige Allianz aus Aluminiumhut und Palästinensertuch“.
Todenhöfers Argumentation ist an diesem Abend inkonsistent, sie wirkt stellenweise wirr: Er mokiert sich über die Wahlversprechen der Parteien und behauptet, ihm gehe es vor allem um Werte und Ethik – um kurz darauf „deutliche Steuerentlastung für kleinere und mittlere Einkommen“, den jährlichen Bau von „einer Million neuer Wohnungen und Häuser“ sowie drei Jahre Elternzeit anzukündigen. Politiker seien laut Todenhöfer nicht darauf bedacht, ihr Programm zu verwirklichen, sondern stellten sich bloß die Frage, welche Gruppe sie zufrieden stellen müssten, um wiedergewählt zu werden. Daraus spricht nicht nur ein seltsames Verständnis von der parlamentarischen Demokratie, sondern auch eine Entmündigung all jener Wählerinnen und Wähler, die einen Politiker durch den Gang zur Wahlurne im Amt bestätigen.
Dass politische Repräsentanten nur darauf bedacht seien, wiedergewählt zu werden, gelte Studien zufolge insbesondere für die Präsidenten der USA. Todenhöfer schlägt vor, die Amtszeit auf zwei Legislaturperioden zu beschränken – doch genau das ist beim US-Präsidentschaftsamt der Fall. Todenhöfer kündigt außerdem an, hierzulande Großspenden für Parteien verbieten zu wollen. „Wir werden nicht mehr in einer gekauften Republik leben!“
Er habe zwei tiefgreifende Entscheidungen getroffen, sagt Todenhöfer schließlich. Einerseits sei er nach 50-jähriger Mitgliedschaft aus der CDU ausgetreten. Doch viel wichtiger: „Wir haben heute Nachmittag auf zehntausendfachen Wunsch vor dem Reichstag eine neue Partei für Deutschland gegründet“, verkündet er unter Jubel. Und diese Partei sei ein „gewaltloser Aufstand gegen die Unanständigkeit unserer Zeit“, eine „humanistische Revolution“. Der Name der Partei: „Team Todenhöfer“ – auch das, wie bescheiden, „auf tausendfachen Wunsch“.
Doch Todenhöfer gefällt sich sichtlich in der Rolle des Messias. Es brauche einen „anderen Politikertyp“, nämlich „Politiker, denen es wieder um die Menschen geht und nicht nur um ihre eigene Karriere“, so Todenhöfer. „Gibt es Politiker, denen die Bevölkerung und die Menschen wichtiger sind?“, fragt er. „Todenhöfer!“, grölt ein Mann in der Menge. Das Publikum applaudiert, Todenhöfer reckt seinen Daumen in die Höhe.
Die Mischung aus anti-westlichen Ressentiments, sozialpolitischen Forderungen und einer Generalabrechnung mit den Politikern „da oben“ könnte Todenhöfers Agenda für breitere Bevölkerungskreise attraktiv machen. Das Publikum hängt ihm an diesem Abend jedenfalls an den Lippen, vereinzelt tönt es „Merkel muss weg“ aus der Menge. Mit seinem Programm und der Anti-Establishment-Inszenierung könnte er durchaus jene im Kern politikverdrossenen Milieus ansprechen, sie sich 2014 zu den „Montagsmahnwachen für den Frieden“ oder später zu „Pegida“ hingezogen fühlten. Dass das „Team Todenhöfer“ zu einer relevanten politischen Kraft aufsteigen könnte, erscheint zwar gegenwärtig nicht wahrscheinlich. Bei Facebook folgen Jürgen Todenhöfer über 700.000 Menschen, gekommen sind an diesem Abend nur einige hundert. Im Auge behalten sollte man die neue Partei allemal.
Foto: Katia Vásquez Pacheco