RechercheBad Reads: Holocaustleugnung, Antisemitismus und Terrorpropaganda auf beliebter Amazon-Bücherplattform

Die zu Amazon gehörende Plattform „Goodreads“ ist die weltweit führende Seite für Bücherfans. Doch „Goodreads“ wird auch genutzt, um holocaustleugnende Hetzschriften, Waffenbauanleitungen und Terrorpropaganda zu verbreiten. Eine democ-Recherche zeigt, dass die Plattform nur mangelhaft gegen solche Inhalte vorgeht.

von Karolin Schwarz

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Aktuelle und angehende Leser*innen von »Mein Kampf«. Screenshot: „Goodreads“

Update vom 10. Juli 2024: Goodreads hat inzwischen auf eine weitere Anfrage durch „Der Spiegel“ reagiert und unter anderem die Genres „Holohoax“ und „Jewish Question“ entfernt. Auch das antisemitische Buch “Der Giftpilz” taucht nicht mehr in der Suche auf.

10.800 „Goodreads“-Nutzer*innen lesen gerade „Mein Kampf“ von Adolf Hitler. 75.300 haben das Buch zu ihrer Leseliste hinzugefügt. Mehr als 40.000 Mal wurde das Buch bewertet. Die Gesamtbewertung: 3,18 von 5 Sternen. „Goodreads“ empfiehlt außerdem weitere Bücher von Adolf Hitler. Wer sich durch die Rezensionen klickt, muss nicht lange nach weiterer NS-Propaganda suchen: Schriften von Goebbels und Himmler sind ebenfalls zu finden. Nutzer*innen, die „Mein Kampf“ mit fünf Sternen bewerteten, hinterließen auch Reviews für Bücher von Holocaustleugner*innen oder für Standardwerke der Rechtsterror-Szene.

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Buchempfehlungen auf der Seite von „Mein Kampf“. Screenshot: „Goodreads“

„Goodreads“ ist ein soziales Netzwerk für Bücherliebhaber*innen. User*innen können dort ihre gelesenen Bücher nachverfolgen, an Lese-Challenges teilnehmen und sich mit anderen austauschen. Außerdem geht es darum, neuen Lesestoff zu finden – „Goodreads“ ist bereits seit 2013 Teil von Amazon. Auf den Buchseiten führen Links häufig direkt zu Amazon und anderen Shops, in denen das jeweilige Buch direkt gekauft werden kann. Auch in Deutschland ist „Goodreads“ ein beliebtes Angebot. Deutschsprachige Bestsellerromane wurden zum Teil mehr als 10.000 Mal bewertet und hundertfach auf Deutsch rezensiert.

Neben Unterhaltungsromanen und Sachliteratur-Bestsellern katalogisiert „Goodreads“ aber auch Terrorpropaganda, Holocaustleugnung, Antisemitismus und Waffenbauanleitungen.

Viel Platz für Menschenfeindlichkeit

Am offensichtlichsten werden antisemitische, queerfeindliche und andere menschenverachtende Inhalte auf „Goodreads“ durch die Listung entsprechender Bücher im öffentlichen Katalog der Plattform verbreitet. Neben Hitlers „Mein Kampf“ sind zahlreiche andere antisemitische Schriften wie die „Protokolle der Weisen von Zion“ oder das von Julius Streicher herausgegebene NS-Propagandabuch „Der Giftpilz“ in mehreren Sprachen gelistet. Eine Suche nach den „Protokollen“ in arabischer Sprache führt zudem auf Filesharingportale, über die das Buch heruntergeladen werden kann. „Goodreads“ katalogisiert auch zahlreiche Schriften von Holocaustleugnern wie David Duke, Ernst Zündel oder Fred A. Leuchter. Zwar können die Bücher bei „Goodreads“ nicht direkt aufgerufen und gelesen werden, aber in mehreren Fällen enthalten bereits die Buchbeschreibungen Aussagen, die den Holocaust leugnen.

User*innen können außerdem nicht nur Bücher hinzufügen, sondern auch Zitate aus Büchern hinterlegen. Im Fall von „Mein Kampf“ sind mehr als 350 Zitate aus dem Buch abrufbar. Darüber hinaus finden sich in mehreren Rezensionen Links zu Websites, auf denen die Bücher gelesen oder heruntergeladen werden können.

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Buchempfehlungen auf der Seite des antisemitischen NS-Kinderbuchs „Der Giftpilz“. Screenshot: „Goodreads“

Rezensionen auf der Plattform werden immer wieder als Forum für Holocaustleugnung oder die Verherrlichung Hitlers genutzt. Solche in Deutschland strafbaren Äußerungen finden sich dabei nicht nur in Rezensionen einschlägiger NS-Literatur, sondern auch in negativen Bewertungen des „Tagebuch der Anne Frank“ oder der „Maus“-Comics von Art Spiegelman.

Nutzer*innen verwenden zudem ihre Profile zur Verbreitung von Zitaten aus „Mein Kampf“ und anderen rechtsextremen und nationalsozialistischen Schriften. Mehrere von democ identifizierte Profile enthalten Zitate von Adolf Hitler, Joseph Goebbels oder Heinrich Himmler. Hinzu kommen Nutzernamen wie „Heydrich“ oder Profilbilder, in denen rechtsextreme Propaganda abgebildet ist, oder User*innen mit Waffen posieren.

„Goodreads“ bietet User*innen darüber hinaus die Möglichkeit, eigene Listen für Bücher anzulegen, die dann wiederum auch plattformübergreifend als Buchgenres genutzt werden. Während das Genre „Climate Change Denial“ überwiegend Bücher enthält, die kritisch mit der Leugnung der Klimakrise verfahren, sammelt sich unter „Holocaust Denial“ vorwiegend holocaustleugnende Literatur. Hinzu kommen weitere offensichtlich rechtsextreme, antisemitische und NS-verherrlichende Genres wie „Jewish Question“, „ᛋᛋ-books‎“ oder „terrorgram“, benannt nach dem losen, terrorverherrlichenden Netzwerk auf Telegram. Besonders eindeutig ist das Genre „Holohoax“. Der Begriff wird von Holocaustleugner*innen weltweit verwendet, um die Shoa als „Hoax“ (englisch für „Scherz“) zu betiteln.

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Bücher, die unter den Genres „Holohoax“ und „Jewish Question“ hinterlegt sind. Screenshot: „Goodreads“

Terrorpropaganda auf „Goodreads“

Neben antisemitischen, volksverhetzenden und holocaustleugnenden Schriften verbreiten Rechtsextreme und Islamisten auf „Goodreads“ Inhalte, die zur Begehung terroristischer Anschläge aufrufen. So sind etwa die Pamphlete der Rechtsterroristen von Charleston und Christchurch sowie des misogynen Terroristen von Isla Vista auf „Goodreads“ verzeichnet. In den Rezensionen zur Terrorpropaganda von Brenton T., der im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen ermordete, heißt es beispielsweise: „I loved this book. Brenton [T.] is a hero. Every white, young and old, should read this book.“

Daneben sind mehrere gewaltverherrlichende Schriften zu finden, die aus dem inzwischen geschlossenen Neonazi-Forum „Ironmarch“ hervorgegangen sind. Und auch „Siege“ von James Mason ist per Suchfunktion abrufbar. Die Schriftensammlung gehört zur Lektüre mehrerer Rechtsterroristen und ihren Anhänger*innen. „Siege“ enthält neben extrem rassistischen und antisemitischen Aussagen auch Aufrufe zu Terroranschlägen und Anleitungen dafür, wie solche Anschläge durchgeführt werden können. In einer Rezension heißt es: „An awesome primer for lone wolf operations“ (“Eine großartige Anleitung für Operationen für einsame Wölfe"). Auch ein Handbuch von Al-Qaida ist im „Goodreads“-Katalog auffindbar, außerdem verschiedene Bücher, die Anleitungen zum Bau von Waffen und Bomben beinhalten.

Moderation kaum vorhanden

„Goodreads“ dürfte bekannt sein, dass Terrorpropaganda auf der Plattform existiert: Im Jahr 2021 entfernte der Mutterkonzern Amazon die rechtsextremen „Turner Diaries“, die wie „Siege“ Aufrufe zu Anschlägen enthalten, aus dem Katalog. Daraufhin bearbeitete auch „Goodreads“ die Einträge für das Buch, sodass die Seite bis heute zwar abrufbar ist, aber nun nicht mehr den Buchtitel oder Autorennamen enthält. Mehrere der Schriften aus dem Ironmarch-Forum enthalten zudem Hinweise, dass sie den Richtlinien für den „Goodreads“-Katalog nicht entsprechen würden und deshalb nicht mehr mit Sternebewertungen oder Rezensionen versehen werden können. Auch über der Propaganda des Terroristen von Christchurch ist dieser Hinweis zu lesen. Terrorverherrlichende Rezensionen sind auf der Seite trotzdem weiterhin abrufbar und nach kurzem Scrollen zu finden. Außerdem kann das Buch weiterhin auf die „Want to read“-Liste gesetzt oder zu Genres hinzugefügt werden.

Ohnehin macht es „Goodreads“ seinen User*innen schwer, Inhalte auf der Plattform direkt zu melden. Nur Rezensionen und User*innen können über einen Button gemeldet werden. Zitate, Bücher oder Buchgenres können dagegen gar nicht direkt auf der Plattform gemeldet werden.

Democ hat 80 Rezensionen identifiziert und gemeldet, die Holocaustleugnung, NS- oder Terrorpropaganda, Gewaltaufrufe sowie Antisemitismus beinhalten. Nach zehn Tagen war lediglich eine der Rezensionen nicht mehr online. Nach insgesamt zwei Wochen waren schließlich für elf von 80 gemeldeten Rezensionen nur noch Fehlerseiten abrufbar. Nach welchen Kriterien Inhalte entfernt wurden, ist nicht nachvollziehbar: Inhalte, die den Holocaust leugnen oder rechtsterroristische Anschläge verherrlichen, sind weiterhin abrufbar.

Auf eine Anfrage von democ zu den 80 gemeldeten Rezensionen, mehr als 100 Büchern, dem „Holohoax“-Genre, sowie Fragen zu den Moderationspraktiken der Plattform hat „Goodreads“ bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags nicht reagiert.

Der „Goodreads“-Mutterkonzern Amazon selbst stand in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach in der Kritik, etwa wegen des Vertriebs rechtsextremer Schriften oder Aufklebern.

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