Querfront: Friedensdemos als Knotenpunkt von Verschwörungsnarrativen: „Great Reset“, BlackRock und der Ukraine-Krieg
Die russische Vollinvasion in der Ukraine im Februar 2022 veränderte die weltpolitische Lage so deutlich, dass der Krieg auch in Deutschland merkbar wurde. Die Fragilität von Frieden wurde plötzlich spürbar, während Energiepreise und Inflation stiegen. Somit folgte kurz nach dem Ende der Pandemie die nächste Krise, die das Sicherheitsgefühl vieler Menschen erschütterte.
Die Reaktionen in Deutschland fielen unterschiedlich aus: Während viele Menschen Solidarität mit der Ukraine zeigten und sich für Geflüchtete engagierten, entstanden parallel dazu sogenannte „Friedensdemonstrationen“.
Diese heterogene Protestbewegung, die bis heute fortwirkt - mobilisiert zwar unter dem Deckmantel des Ukraine-Kriegs, zeigt jedoch kaum Solidarität mit dem angegriffenen Land. Stattdessen relativieren viele der dortigen Botschaften die Verantwortung Russlands und schieben die Schuld anderen Akteuren zu – oft unter Verwendung von Bildern und Argumentationsmustern, die auch das russische Regime im Rahmen seiner Staatspropaganda nutzt. Gleichzeitig geht es auf diesen Demonstrationen längst nicht mehr nur um die Ukraine. Die Themenpalette reicht von vehementer Kritik an der Corona-Politik bis hin zu migrationsbezogenen Ängsten und grundsätzlicher Ablehnung der deutschen Politik. In diesem Umfeld werden immer wieder – offen oder subtil – antisemitische und anti-amerikanische Verschwörungserzählungen verbreitet, die sich flexibel an die jeweils behandelten Themen anpassen.
Ein genauerer Blick auf diese Proteste zeigt, dass sie personell wie inhaltlich an die Querdenker-Bewegung der Corona-Zeit und an die „Mahnwachen für den Frieden“ von 2014 anknüpfen (1). Wie schon damals kommt es auch bei den aktuellen „Friedensdemos“ zu einer Querfront, das bedeutet, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen politischen Lagern und verschwörungsideologischen Milieus zusammenkommen und dabei ihre Differenzen weitgehend ausblenden. Gemeinsame verschwörungstheoretische Erklärungsmuster für die Krisen der Welt, egal ob die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg, wirken hier als verbindendes Element. Das zeigt sich an Plakaten auf Demonstrationen sowie an Inhalten aus einschlägigen Telegram-Gruppen und TikTok-Videos der Szene.
Ein wiederkehrendes Narrativ in der Friedensbewegung und verwandten Protestszenen ist die Verschwörungserzählung vom „Great Reset“ (Großer Neustart) (2).
Ursprünglich vor allem in rechtsextremen Kreisen verbreitet, hat sich diese Erzählung spätestens seit der Corona-Pandemie in breitere Gesellschaftsschichten ausgebreitet. Ihr Kern besagt, dass globale Krisen wie die Pandemie oder der Ukraine-Krieg von einer geheimen Elite absichtlich herbeigeführt werden, um eine neue Weltordnung gegen den Willen „des Volkes“ durchzusetzen. Dabei gelten diese Krisen als Ereignisse als Ablenkungsmanöver, um den angeblich wachsenden Einfluss dieser Elite zu verschleiern.
Doch wer soll diese geheime Elite sein – und was macht diese Erzählung antisemitisch? Zu ihren angeblichen Mitgliedern zählen Personen wie Klaus Schwab (3), Bill Gates und George Soros. Soros ist ein aus Ungarn stammender jüdischer Philanthrop, der sein Milliardenvermögen durch Finanzgeschäfte erwirtschaftete. Einen erheblichen Teil investiert er über die Open Society Foundation zur Stärkung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – mit einem Schwerpunkt auf Osteuropa und den Ländern des Globalen Südens. Verschwörungsgläubige sehen in Soros Engagement allerdings den Beweis für den geheimen Plan dieser globalen Elite, die angeblich die Welt beherrschen will (4).
Verschwörungserzählungen wie die des „Great Reset“ greifen häufig auf die Methode der Umwegkommunikation (5) zurück. Da klassische antisemitische Vorstellungen seit dem Holocaust gesellschaftlich tabuisiert sind, greifen moderne Verschwörungserzählungen häufig zu verschleierten oder kodierten Formen. Anstelle offener Bezüge auf „die Juden“ als Weltverschwörer werden stattdessen Einzelpersonen wie George Soros, Institutionen oder abstrakte Begriffe wie „globale Elite“, „Finanzkapital“ oder „Great Reset“ in den Vordergrund gestellt. Diese Chiffrierungen funktionieren als Ersatzcodes, die das alte Stereotyp der jüdischen Macht über Politik und Finanzen bedienen, ohne es explizit zu benennen – und damit die Tabugrenze zu umgehen.
Im Kontext des Ukraine-Kriegs dient Soros als Symbol einer global agierenden geheimen Elite – als vermeintlicher Strippenzieher und Nutznießer des Krieges. Durch diese Erzählung wird die Verantwortung vom russischen Regime auf eine fiktive Elite verschoben und der Krieg als Teil eines angeblichen globalen Plans gedeutet. Dadurch werden die geopolitischen und ideologischen Motive des russischen Regimes für diesen Krieg ausgeblendet und durch die Erzählung einer elitären Weltverschwörung ersetzt.
Ein weiteres Narrativ in der Szene dreht sich um die angebliche Rolle der US-Investmentfirma BlackRock im Ukraine-Krieges. Behauptet wird, BlackRock sei der eigentliche Profiteur oder sogar Initiator des Krieges, um durch Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau immense Gewinne zu erzielen. Was steckt hinter dieser Behauptung?
Außer Frage steht, dass der russische Angriffskrieg eine massive Zerstörung in der Ukraine verursacht hat und das Land auf umfangreiche Investitionen angewiesen ist, um einen Wiederaufbau zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang kam es auch zu Gesprächen zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden von BlackRock, Larry Fink und dem ukrainischen Präsidenten Zelensky. Verschwörungsideologische Akteure deuten diese Kontakte allerdings als ein Beleg dafür, dass der Krieg primär den finanziellen Interessen des US-amerikanischen Finanzkapitals diene. Nebensächlich scheint dabei zu sein, dass BlackRock die Suche nach Investoren für den Wiederaufbau bereits eingestellt hat (Stand November 2025) (6).
Die Idee, dass BlackRock vom Krieg profitieren würde, verfängt sicher auch deshalb leicht, weil die Firma in verschwörungsideologischen Kreisen immer wieder als Feindbild genutzt wird. Auch in den USA werfen rechte Akteure wie Robert F. Kennedy Jr. – bekannter Impfskeptiker und seit 2025 Gesundheitsminister in der Trump-Regierung – oder der im September 2025 bei einem Attentat ermordete Charlie Kirk, BlackRock mit falschen Behauptungen an, wie z.B. für die „Housing Crisis“ verantwortlich zu sein (7).
Die Verschwörungserzählung, dass US-amerikanische Firmen und Banken Kriege bewusst initiieren, um sich daran finanziell zu bereichern, ist weit verbreitet. Zwar stimmt es, dass auch US-amerikanische Firmen und Banken indirekt an Kriegen verdienen, etwa durch Beteiligungen an der Rüstungsproduktion oder durch Investitionen. Dies ist zweifellos aus moralischer und ethischer Sicht kritisierenswert. Die Vorstellung, sie würden Kriege heimlich initiieren, ist jedoch eine unbelegte Behauptung. Zudem blendet sie die Verantwortung des russischen Regimes für den Ukraine-Krieg aus.
Im Fall von BlackRock und Larry Fink treffen zwei klassische Verschwörungsbausteine zusammen: BlackRock steht sinnbildlich für das US-Finanzwesen, dessen Elite angeblich die Welt kontrolliert. Fink, jüdischer Finanzakteur und Vorstand von BlackRock, wird so zur „idealen Projektionsfläche“ für die Vorstellung, dass das US-amerikanische Finanzkapital unter jüdischer Führung globale Finanz- und Machtstrukturen steuert.
Ein anderes gängiges Narrativ, das auf den Demonstrationen vertreten wird, besagt, dass die Schuld am Krieg in der Ukraine nicht bei Russland, sondern bei westlichen Akteuren liege – allen voran der USA, der NATO, der EU, aber auch Organisationen wie dem WEF, der WHO oder sogar der Ukraine selbst. Zu beobachten ist, dass auf Demonstrationsplakaten und in zahlreichen Redebeiträgen ein Bild der USA als übermächtiger Strippenzieher konstruiert wird. Dieser würde andere westliche Akteure kontrollieren und seinen Interessen unterwerfen. Deutschland und die EU werden in diesem Zusammenhang immer wieder als „Vasallen“ der USA dargestellt – fremdbestimmt und ohne eigene Handlungsfähigkeit.
Aus dieser Perspektive erscheint Russland als Opfer angeblicher US-Interessen und westlicher „Manipulation“. So wird argumentiert, das Land sei gezwungen, sich militärisch gegen die NATO-Osterweiterung zu wehren, um den Einfluss des Westens in seine Einflusssphäre zurückzudrängen. Diese Erzählung blendet jedoch die realen geopolitischen und ideologischen Motive des russischen Angriffskriegs aus. Zudem werden der Ukraine die eigenen Interessen und die Souveränität abgesprochen. Sie erscheint lediglich als Spielball in einem geheimen Plan der USA.
Dieses verzerrte Bild bedient klassische anti-amerikanische Klischees: Die USA werden als manipulative Macht dargestellt, die die Weltpolitik kontrolliere, andere Staaten nach eigenem Vorteil lenke und fremdbestimme.
Abschließend ist zu betonen, dass das eigentliche Problem dieser „Friedensdemos“ nicht im Streben nach Frieden liegt, sondern in der Verbreitung verschwörungstheoretischer Deutungen von Kriegsursachen. Unkontrollierbare Krisen wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die Corona-Pandemie erzeugen bei Menschen das Bedürfnis nach einfachen, überschaubaren Erklärungen. Verschwörungserzählungen bieten eine scheinbare Orientierung, indem sie komplexe geopolitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge auf das Wirken von geheimen Mächten reduzieren. Genau deshalb ist es wichtig, diese Narrative kritisch zu beleuchten und ihre Mechanismen sowie problematische Implikationen – etwa antisemitische Anklänge oder die Relativierung russischer Kriegsverantwortung – offenzulegen.
Quellen
- Auseinandersetzung mit den Mahnwachen für den Frieden:
Hammel, L. (2018). „…Und Sie Ziehen Seit Über Hundert Jahren Die Fäden Auf Diesem Planeten“: Antisemitische Verschwörungstheorien in gegenwärtigen Protestbewegungen: Das Beispiel der Mahnwachen für den Frieden. In M. Grimm & B. Kahmann (Ed.), Antisemitismus im 21. Jahrhundert: Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror (pp. 367-388). Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg. https://doi.org/10.1515/9783110537093-017 - Verschwörungstheorien im Kontext des Ukraine-Krieges:
- Der Great Reset und die angebliche Rolle von Schwab und dem WEF
- Soros als wiederkehrender Akteur in antisemitischen Verschwörungstheorien
- Erklärung des Begriffs der Umwegkommunikation
- Stand Ende November 2025, BlackRock stellt die Suche nach Investoren vorerst ein
- BlackRock als Verschwörungsgegenstand im US-Wahlkampf 2024
Weiterführende Links
Verbindung zwischen Querdenker Milieu und russischer Propaganda