RechtsextremismusNoch sind Polens Rechtsextreme nicht verloren

Erneut demonstrierten in Warschau Zehntausende gegen die vermeintlichen Feinde des Vaterlandes.

von Tom-Aaron Aschke

Erneut zogen am 11. November 2023 polnische Nationalisten und rechtsextreme Gruppen anlässlich des polnischen Unabhängigkeitstags durch das Warschauer Stadtzentrum. Am 11. November 1918 übertrug der polnische Regentschaftsrat Józef Piłsudski den Oberbefehl über die polnischen Truppen und ernannte ihn zum vorläufigen Staatsoberhaupt. Mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit endete die 123 Jahre währende Teilung Polens durch Preußen, Russland und Österreich-Ungarn. Der 11. November ist in Polen ein staatlicher Feiertag und wird unter anderem mit einer zentralen Militärparade am „Grabmal des unbekannten Soldaten“ in Warschau begangen. Seit nun mehr als zehn Jahren nutzen auch polnische Rechtsextreme den Feiertag, um im Stadtzentrum gegen all jene zu demonstrieren, die von ihnen als Gefährdung der nationalen Identität und Souveränität imaginiert werden. Jahrelang galt die Demonstration als größter rechtsextremer Aufmarsch Europas und sorgte europaweit für Aufmerksamkeit. Zahlreiche rechtsextreme Gruppen reisen an und bieten Einblick in ihre Ideologie und Feindbilder. Im Mittelpunkt steht die Feindschaft gegen die EU, gegen Feminismus und LGBTQ+-Personen, aber auch antikommunistische und antisemitische Inhalte sind präsent.

Das Organisationsbündnis stellte den Unabhängigkeitsmarsch in diesem Jahr unter das Motto „Jeszcze Polska nie zginęła“ (dt. Noch ist Polen nicht verloren), eine Referenz der ersten Zeile der polnischen Nationalhymne. Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Entwicklungen in Polen konnte das Motto als Sammlungsruf an die polnischen Rechtsextremen verstanden werden. Diese hatten erst im vergangenen Oktober bei den Parlamentswahlen eine Niederlage einstecken müssen. Entgegen anderslautenden Prognosen erreichte das nationalistische Bündnis „Konfederacja Wolność i Niepodległość” (dt. Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit) nur 8 Prozent der Stimmen. Damit konnte sie nicht zum „Zünglein an der Waage“ in einer möglichen Koalition mit der angeschlagenen Regierungspartei „Prawo i Sprawiedliwość” (dt. Recht und Gerechtigkeit, PiS), werden, während eine neue Koalition aus linken bis konservativ-liberalen Parteien die nationalkonservative PiS-Regierung ablöst. Unter den Organisatoren des Marsches traten im Vorfeld Spannungen auf. Besonders am Vorsitzenden der Stiftung, dem rechtsextremen Politiker Robert Bąkiewicz, der von 2016 bis 2018 Mitglied im „Obóz Narodowo-Radykalny“ (dt. Nationalradikales Lager, ONR) und dort zeitweise Vorstandsmitglied war, entzündete sich Kritik. Teile der Stiftung, die der Konfederacja nahestehen, hatten dem seit 2017 amtierenden Vorsitzenden die Zusammenarbeit mit der damaligen Regierungspartei PiS vorgehalten. 2018 hatten sich Staatspräsident Andrzej Duda, Regierungschef Mateusz Morawiecki und der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński an die Spitze des Marsches gesetzt. Mit Verweis auf Satzungsvergehen war Bąkiewicz Anfang 2023 aus der Stiftung entfernt und seinem Amt als Vorsitzender enthoben worden. Ein Kennzeichen des Marsches ist seine heterogene Teilnehmerschaft, die von polnischen Fußball-Hooligans, historischen Reenactment-Gruppen, katholischen Abtreibungsgegnern über die Parlamentspartei Konfederacja bis hin zu Neo-Faschisten und Autonomen Nationalisten des Schwarzen Blocks reicht. In der Kontroverse um Bąkiewicz zeigt sich die Schwierigkeit, das heterogene Gefüge zusammenzuhalten und unterschiedliche Interessen auszugleichen.

Organisiert wird der Marsch vom Bündnis „Stowarzyszenie Marsz Niepodległości“ (dt. Vereinigung Marsch der Unabhängigkeit). Dieses wird von den rechtsextremen Gruppen ONR, der „Młodziesz Wszechpolski“ (dt. Allpolnische Jugend, MW), sowie der aus beiden Gruppen 2012 hervorgegangenen Partei „Ruch Narodowy“ (dt. Nationale Bewegung, RN) getragen, die wiederum ein Teil des seit 2018 bestehenden rechtsextremen Wahlbündnisses Konfederacja ist. Die rechtsextremen Gruppen beziehen sich mehrheitlich auf die Tradition des national-demokratischen Lagers (pl. Endecja) der polnischen Zwischenkriegszeit. Das ONR schließt mit seinem Namen an eine 1934 gegründete rechtsextreme, nationalistische Partei an, die bereits wenige Monate nach ihrer Gründung verboten wurde. Kennzeichnend waren ihre Orientierung am italienischen Faschismus, sowie ihr Antisemitismus und Antikommunismus. Ihre Neugründung adressiert vorwiegend Jugendliche und gewann seit der Jahrtausendwende starken Zulauf aus der polnischen Skinheadszene (Pankowski 2013). Das ONR ist auch Initiator des Unabhängigkeitsmarsches, der ab 2010 durch die Kooperation mit der MW und anderen rechtsextremen Gruppen erhöhten Zulauf bekam. Die MW ist ebenfalls eine Jugendorganisation, die sich qua ihres Namens auf eine nationalistische und antisemitische Studentenorganisation aus der Zwischenkriegszeit bezieht. Sie verübte unter anderem körperliche Übergriffe auf jüdische Studierende und forderte die Einrichtung segregierter Sitzreihen (sog. „Bank-Ghettos”) für diese in den Hörsälen. Aus jenem antisemitischen Fundus bedient sich auch die Neugründung und pflegt eine „Kultur des Antisemitismus“ (Pankowski 2013). Sowohl das ONR als auch die MW treten in der Öffentlichkeit durch Gewalt und physische Einschüchterung politischer Gegner auf. Nachdem die Bedeutung beider Gruppen zeitweise abnahm, gründeten sie 2013 gemeinsam die RN. 2015 zogen erstmals Mitglieder der RN in das polnische Parlament ein. Die Partei unterhält Verbindungen zur ungarischen rechtsextremen Jobbik-Partei. Seit 2018 kooperiert die RN wiederum mit der paläolibertären Partei “Nowa Nadzieja” (dt. Neue Hoffnung) und der monarchistischen Partei “Konfederacja Korony Polskiej” (dt. Konföderation Polens Krone) im Wahlbündnis Konfederacja. Besonders unter jungen männlichen Wählern hat die Konfederacja hohe Zustimmungswerte und konnte 2019 ins Parlament einziehen.

Die Popularität des Unabhängigkeitsmarsches zog in der Vergangenheit auch Rechtsextreme aus dem europäischen Ausland an. So waren etwa 2018 führende Köpfe der Identitären Bewegung, Daniel Fiß und Robert Timm sowie der PEGIDA-Organisator Lutz Bachmann mit von der Partie. Immer wieder waren in der Vergangenheit auch Mitglieder der ungarischen Jobbik-Partei oder der italienischen Forza Nuova auf dem Marsch vertreten. 2019 beteiligte sich sogar eine Gruppe der neofaschistischen “Patriot Front” aus den USA. Internationale Beteiligung wurde in diesem Jahr besonders im Schwarzen Block am Ende des Demonstrationszuges deutlich: So zeigten unter anderem “Active Clubs” aus Polen, den Niederlanden, Estland, Litauen, Lettland und Dänemark mit Flaggen Präsenz. Unter dem Label der “Active Clubs”, das 2021 vom US-Amerikaner Robert Rundo ins Leben gerufen wurde, organisieren sich kleine Gruppen von Rechtsextremen auf lokaler Ebene, um politische Aktionen und Kampfsporttrainings durchzuführen. Gezeigt wurden in der Nähe der Fahnen der “Active Clubs” auch Symbole der italienischen Casa Pound und eine Flagge der “Patriot Front”.

In den vergangenen Jahren hat sich der Charakter des Marsches verändert. Lieferten sich in den ersten Jahren vermummte Hooligans Straßenschlachten mit der Polizei, bleibt der Marsch heute weitestgehend friedlich. Trotzdem ist das Eskalationspotenzial hoch und die Stimmung kann schnell in handfeste Gewalt gegen Andersdenkende und Unbeteiligte umschlagen. 2020 setzten Demonstranten mit Pyrotechnik eine Wohnung in Brand. Auf einem Balkon im selben Haus hing eine Regenbogenflagge und ein Banner des „Strajk Kobiet“ (dt. Frauenstreik), einer landesweiten Bewegung, die sich gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen einsetzt. Nach Angaben der Stadt Warschau versammelten sich in diesem Jahr rund 40.000 Teilnehmende, um vom Rondo Dmowskiego zum Stadion Narodowy (dt. Nationalstadion) auf der anderen Weichselseite zu ziehen. Der polnische Politiker Roman Dmowski (1864–1939), Namensgeber des Versammlungsortes, war eine zentrale Figur der polnischen National-Demokratie und im Kampf um die polnische Unabhängigkeit. In der Ideologie der rechtsextremen Organisatoren ist er eine wichtige Bezugsgröße. Für die Einstimmung der Teilnehmenden sorgte hingegen ein Epigone Dmowskis, der rechtsextreme Politiker, Parlamentsabgeordnete und Ko-Parteivorsitzende der Konfederacja, Krzysztof Bosak. Freiheit und Unabhängigkeit Polens seien Bosak zufolge, der von 2014 bis 2018 Mitglied im RN war, heute durch die Politik der Europäischen Union gefährdet, die etwa mit ihrer Flüchtlingspolitik über Polen hinweg entscheide. Das sei nicht die europäische Zusammenarbeit, die man wolle. Vielmehr gelte es die „Normalität“ und die „eigene Identität“ zu verteidigen. Sprechchöre der Teilnehmenden verkündeten, welches Identitätskonzept Bosak im Sinn hatte: „Bóg, Honor i Ojczyzna“ (dt. Gott, Ehre und Vaterland).

Erneut nahmen zahlreiche Gruppen religiöser Abtreibungsgegner an der Demonstration teil. Auf mehreren großformatigen Plakaten wurden explizite Bilder abgetriebener Föten gezeigt. Ein anderes Banner verglich Abtreibungen mit einem Völkermord. Seit Jahren machen in Polen katholische Organisationen von Abtreibungsgegnern mit öffentlichen Aktionen auf ihre Ziele aufmerksam und platzieren explizite Schock-Bilder über Werbe-Fahrzeuge in der Öffentlichkeit. Große landesweite Proteste gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts gab es zuletzt 2020, anlässlich eines Urteils des polnischen Verfassungsgerichts. Seit den neunziger Jahren gilt in Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Das Verfassungsgerichtsurteil besagt, dass künftig Schwangerschaftsabbrüche nur noch bei einer gesundheitlichen Gefährdung für die Mutter durchgeführt werden dürfen oder wenn die Schwangerschaft die Folge einer Straftat ist. Auch LGBTQ+-Personen standen erneut im Fokus der Anfeindungen aus den Reihen des Marsches. Banner warnten vor angeblich von der EU ausgegebenen Standards, die die „Frühsexualisierung von Kindern“ sowie Pädophilie befördern würden. Auf Videos war zu sehen, wie Demonstranten eine polnische Flagge in Regenbogenfarben zerrissen und anzuzünden versuchten. Eine weitere Regenbogenflagge wurde von einem der Lautsprecherwagen über die Straße geschleift und immer wieder von Teilnehmenden mit den Füßen getreten. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die öffentliche Diskriminierung von LGBTQ+-Personen, als ab 2019 zahlreiche Gebietskörperschaften in Polen Resolutionen fassten, in denen sie sich als „frei von LGBT-Ideologie“ deklarierten. Die Regierungspartei PiS hatte mehrfach vor Wahlkämpfen die „LGBT-Ideologie“ als Gefahr für polnische Familien benannt.

Neben der Regenbogenflagge ließ man auch eine Flagge der Europäischen Union hinter dem Lastwagen schleifen. In der polnischen Rechten werden europäische und liberale Eliten für die Verbreitung der „LGBT-Ideologie“ verantwortlich gemacht. Sprechchöre deklamierten, dass hier Polen sei und die Europäische Union keinen Einfluss habe. Insbesondere die rechtsextreme Konfederacja stellte den Kampf gegen die EU ins Zentrum ihrer Banner und Plakate. Auf diesen war von einer „Eurokolchoza“ die Rede, eine Gleichsetzung der europäischen Integration mit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion. Das damit aufgeworfene Bild der Kolchose weckt in Polen Erinnerungen an die Zeit der kommunistischen Volksrepublik und damit an die brutalen und opferreichen Umgestaltungsprozesse von Wirtschaft und Gesellschaft. Das Bild verweist nicht zuletzt auf die Zeit der Fremdbestimmung durch die Sowjetunion. „Eurokolchoza“ beschreibt die EU als eine erneute totalitäre Gefahr und Gefahr für die Unabhängigkeit Polens. Ähnlich wie Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern forderte auch die Konfederacja auf dem Marsch einen „PolEXIT“, also den Austritt Polens aus der Europäischen Union, die als eine neue Erscheinungsform deutscher Fremdherrschaft angesehen wird. Diese Position ist eine Kernforderung, mit der die Konfederacja Wahlkampf betreibt.

Die Abneigung der Demonstranten wandte sich auch gen Osten. Nach der russischen Totalinvasion der Ukraine im Februar 2022 zeigte die polnische Bevölkerung eine weithin beachtete praktische Solidarität mit dem Nachbarland und nahm allein 2022 fast 1 Million ukrainische Flüchtlinge auf. Die polnische Regierung positionierte sich deutlich aufseiten der Ukraine und machte Polen zum Zentrum für die logistische, humanitäre und militärische Unterstützung. Mittlerweile traten zur Solidarität auch Skepsis und Spannungen hinzu. Angesichts steigender Energiepreise und der Inflation verstärkt sich die Konkurrenz um Wohnraum, Kitaplätze und medizinische Versorgung. Auch historisch abgeleitete anti-ukrainische Stimmungen treten hervor. Polens Rechtsextreme fördern diese Haltungen und verweisen auf das Trennende zwischen der Ukraine und Polen. Eine besondere Rolle spielt das Jahr 1943, in dem in den von Deutschland besetzten Gebieten Wolhynien und Ostgalizien ein Bürgerkrieg ausbrach. Die Ukrainische Aufständische Armee (UPA), der militärische Flügel der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), wollte die zu Vorkriegspolen gehörenden ukrainisch besiedelten Gebiete depolonisieren und ermordete nach unterschiedlichen Angaben zwischen 50.000 und 100.000 Polen. Die polnische Heimatarmee (pl. Armia Krajowa, AK) ermordete in Reaktion darauf zwischen 10.000 und 15.000 Ukrainer. Der Anführer des rechtsextrem-terroristischen Flügels der OUN (OUN-B), der Politiker Stepan Bandera, war bereits in der Zwischenkriegszeit im terroristischen Widerstand der ethno-nationalistischen OUN beteiligt, der etwa Attentate gegen polnische Politiker beging. Im Rahmen der Westverschiebung Polens wurden 1945 Polen aus der Sowjetukraine und Ukrainer aus Polen ausgesiedelt. Auf dem Unabhängigkeitsmarsch wandten sich zahlreiche Banner gegen die UPA und Bandera. Auffällig war das Ausbleiben von Solidaritätsadressen mit der angegriffenen Ukraine. Auf den vergangenen Märschen waren noch ukrainische Flaggen zu sehen und ukrainische Gruppen nahmen an der Veranstaltung teil. Erkennbar positionierte man sich in diesem Jahr gegen die Europäische Union, während der russische Neo-Imperialismus nicht kritisiert wurde. Diese Haltung verblüfft zwar, verweist aber auf einen Traditionsstrang der polnischen Rechten. Deren spiritus rector Roman Dmowski vertrat eine panslawistische und pro-russische Variante des polnischen Nationalismus, die in Deutschland den Hauptgegner Polens und in Russland einen potenziellen Partner sah. Dmowski war davon überzeugt, dass Polen sich auf Kosten Deutschlands vergrößern sollte und warb für ein mono-konfessionelles, ethnisch homogenes Polen unter Ausschluss von Ukrainern, Juden und Deutschen.

Bekannt ist Dmowski auch für seine antisemitischen Traktate. Die polnischen Juden zählte er nicht zur polnischen Nation und erkannte in ihrer Sozialstruktur ein Problem für die polnische Souveränität. Dmowski und die rechte National-Demokratie forderten Juden aus dem sozialen und wirtschaftlichen Leben auszuschließen und initiierten Boykotte jüdischer Geschäfte. Aus den Reihen der National-Demokratie gingen während der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg eigene Widerstandsgruppen hervor. Auf dem Marsch fanden zahlreiche positive Bezugnahmen auf diese Gruppen statt. So waren mehrere Fahnen des Związek Jaszczurczy (dt. Eidechsenbund) als auch der Narodowe Siły Zbrojny (dt. Nationale Streitkräfte, NSZ) an Lautsprecherwagen zu sehen. Einige Teilnehmende trugen Abzeichen beider Vereinigungen an ihren Klamotten oder skandierten deren Namen.

Der polnische Widerstand unterteilte sich in zahlreiche Gruppen, die sich an den politischen Parteien der Zwischenkriegszeit orientierten. Der größte und einflussreichste Zusammenschluss war die „Związek Walki Zbrojnej” (dt. Vereinigung für bewaffneten Kampf). Aus dieser Gruppe ging 1942 die AK hervor, die knapp 350.000 Personen umfasste und der polnischen Exilregierung in London unterstellt war. Zahlreiche kleinere Gruppen agierten unabhängig von der Exilregierung. Dazu zählten die Kommunisten der Armia Ludowa (dt. Volksarmee), aber auch die Narodowa Organizacja Wojskowa (dt. Nationale Militärorganisation, NOW), die der National-Demokratie nahestand und 1942 mit der AK zusammenging. Ihr rechter Flügel spaltete sich daraufhin ab und fusionierte mit dem Związek Jaszczurczy, der aus dem faschistischen ONR hervorging, zu den NSZ. Dieses Bündnis hatte bis 1944 Bestand, als die ehemaligen NOW-Kämpfer sich ebenfalls der AK anschlossen, während der Związek Jaszczurczy weiterhin unabhängig blieb. Die NSZ waren ideologisch gekennzeichnet durch eine ultranationalistische, antidemokratische Haltung, die stark antikommunistisch und judenfeindlich geprägt war. Zu ihren Zielen gehörte eine Westverschiebung Polens an die Oder-Neiße-Grenze und eine national-katholisch homogene Bevölkerung unter Ausschluss der deutschen, jüdischen und ukrainischen Minderheit. Sie kämpften sowohl gegen die deutschen Besatzer als auch die sowjetische Rote Armee. Judenfeindliche Töne aus der polnischen National-Demokratie und extremen Rechten wurden während des Krieges auch angesichts des deutschen Massenmords an den polnischen Juden laut. Denunziationen verfolgter Juden geschahen genauso wie die ihrer Helfer. Auch nach dem Krieg verübten Mitglieder der NSZ und des Związek Jaszczurczy Morde an Überlebenden, die sich während des Kriegs versteckt gehalten hatten, die Vernichtungslager überlebt hatten oder aus dem Exil zurückkehrten. Zur Zeit der kommunistischen Volksrepublik wurde das Andenken an die NSZ aus der Öffentlichkeit verbannt. Mit dem Ende des Kommunismus hat die Forschung zu den NSZ in Polen Konjunktur und in der Öffentlichkeit wird vermehrt an diesen Strang des polnischen Widerstands erinnert. Das staatliche Gedenken blendet problematische Aspekte heute vielfach aus und fokussiert sich auf den Antikommunismus der NSZ. Ihre Integration in das offizielle Gedenken muss als Zeichen des in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Erstarkens einer nationalistischen Erinnerungspolitik verstanden werden. Die Präsenz entsprechender Symboliken auf dem Unabhängigkeitsmarsch zeugt nicht notwendig vom Antisemitismus ihrer Träger, zwangsläufig aber von einer kritiklosen Hinnahme bis Akzeptanz dieses historischen Kontextes.

Auch an anderer Stelle wurden auf dem Marsch Bezüge zu geschichtspolitischen Debatten deutlich: Es war ein Transparent zu sehen, das an das Schicksal der polnischen Familie Ulma aus Markowa erinnerte. Als im Sommer 1942 die Judenverfolgung durch die Deutschen in der Gegend zunahm, versteckten die Ulmas die sich auf der Flucht befindliche jüdische Familie Szall, sowie die beiden jüdischen Schwestern Golda und Layka Goldmann bei sich. Jedoch wurden die Ulmas dabei entdeckt und von einem polnischen Nachbarn denunziert. Deutsche Polizisten kamen im März 1944 in das Dorf und erschossen erst die versteckten Juden und anschließend das Ehepaar Ulma samt ihrer sechs Kinder. Seit 1995 werden die Ulmas in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern” geehrt. Ihre Geschichte wurde jedoch auch zu einem Argument in der öffentlichen Kontroverse um das Verhalten der Polen gegenüber ihren jüdischen Nachbarn während des Zweiten Weltkriegs. Seit Anfang des Jahrtausends verweisen Historiker darauf, dass es neben selbstloser Hilfe vonseiten christlicher Polen auch zu Gleichgültigkeit, Denunziationen, Erpressungen oder Kollaboration kam. Nicht unüblich war es, dass sich polnische Helfer von jüdischen Verfolgten für ihre Hilfe aus deren Besitz bezahlen ließen. Die politische Rechte antwortete mit der Betonung polnischen Heldentums und dem Verweis auf die polnischen Gerechten unter den Völkern. Im 2016 von Präsident Andrzej Duda eröffneten „Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkrieges Juden gerettet haben – Museum für die Familie Ulma” in Markowa liegt der Fokus auf dem Motiv der selbstlosen Hilfe. Vorfälle von Denunziation durch polnische Nachbarn werden dort nur am Rande thematisiert (Forecki 2019). Der Todestag der Ulmas wurde 2018 als "Nationaler Gedenktag für die Polen, die Juden während der deutschen Besatzung gerettet haben" zum staatlichen Gedenktag erhoben. Kritiker werfen diesen erinnerungspolitischen Projekten vor, ein eindimensionales und tendenziöses Geschichtsbild zu etablieren. Das Bild von den durchweg hilfsbereiten Polen solle besonders im Ausland die Vorstellung eines in Polen verbreiteten Antisemitismus korrigieren und das nationale Selbstbild stabilisieren. So ist die Familie Ulma in Polen zu einer „Ikone des Diskurses über die Juden rettenden Polen geworden“ (Forecki 2019).

In den beschriebenen Kontext muss auch der Schriftzug „German Death Camps” eingeordnet werden, der auf dem Plakat einiger Demonstrationsteilnehmer zu sehen war. Dabei handelt es sich um eine Kampagne gegen die historisch irreführende Bezeichnung „polnische Todeslager”. Als solche wurden in einigen Fällen die von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg auf polnischem Boden betriebenen Vernichtungslager bezeichnet. Unter anderem in einer Dokumentation des ZDF wurde der faktenwidrige Begriff 2013 verwendet, was der Sender nach einer Intervention der polnischen Botschaft rückgängig machte. Die Debatte mündete in einen Gesetzesentwurf der polnischen Regierung, der vorsah, Äußerungen, die den polnischen Staat oder das polnische Volk „öffentlich und entgegen den Fakten” die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des Nazi-Regimes zuschreiben, künftig zu bestrafen. Kritik kam vor allem aus Israel und den USA, deren Vertreter in dem Gesetz die Gefahr einer Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sahen. Zahlreiche Wissenschaftler äußerten sich besorgt über eine staatliche Einschränkung der Holocaust-Forschung angesichts der weitgefassten und wenig konkreten Formulierung. Aufseiten der polnischen Rechten wird das Holocaust-Gesetz und die Kampagne „German death camps” als ein Kampf um das Ansehen und die Würde Polens auf internationaler Bühne verstanden. Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kacyzński sprach sich in dem Zusammenhang gegen eine „Pädagogik der Scham” und für nationalen Stolz sowie eine Würdigung eigener Helden aus. Kritik aus dem Ausland und aus der liberalen Opposition wird als feindlich motiviert abgelehnt. Vor dem Hintergrund dieser Debatten muss auch das Transparent mit der Aufschrift „Stop USraelizacji Polskiej Racji Stanu” (dt. Stoppt die USraelisierung der polnischen Staatsräson) verstanden werden, das von Teilnehmenden der Konfederacja hochgehalten wurde. In den geschichtspolitischen Kontroversen und damit zusammenhängender Kritik aus den USA und Israel erkennt die Partei eine Einmischung fremder Mächte und Gefahr für die polnische Unabhängigkeit.

Es wird damit zu rechnen sein, dass der Unabhängigkeitsmarsch auch in den nächsten Jahren weiter stattfindet. Allerdings stehen die Organisatoren vor der Herausforderung, interne Differenzen zu überbrücken und den Marsch angesichts sinkender Teilnehmerzahlen vor einem Abrutschen zu einem Randphänomen zu bewahren. Auch bleibt zu beobachten, wie sich die veränderten politischen Kräfteverhältnisse auf die Bedeutung des Marsches auswirken werden – noch sind Polens Rechtsextreme nicht verloren.

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