Betroffener schildert Auto-Attacke

Mehrere Zeugen sagen zu dem Angriff auf den “Kiez Döner” und einer mutmaßlich rassistisch motivierten Auto-Attacke in der Magdeburger Straße aus. Betroffene schildern die gravierenden psychischen Folgen der Tat.

Am 22. September 2020 wurden am 14. Verhandlungstag des Halle-Prozesses die Nebenkläger Conrad Rößler und Aftax Ibrahim als Zeugen zum Tatkomplex “Kiez Döner” und zur mutmaßlich rassistisch motivierten Auto-Attacke in der Magdeburger Straße angehört. Außerdem berichteten mehrere andere Betroffene von der Tat und den gravierenden psychischen Folgen.

Als erster Zeuge des Tages wurde der Nebenkläger Conrad Rößler gehört, der den Angriff auf den “Kiez Döner” überlebte. Rößler berichtete, wie er am Tattag am Tresen gestanden und auf sein Essen gewartet habe, als er den Angeklagten vor dem Imbiss gesehen habe. Zunächst habe er sich über dessen merkwürdige Verkleidung gewundert, dann habe der Angreifer einen Gegenstand in Richtung des “Kiez Döners” geworfen, den der Zeuge für einen Böller gehalten habe. Tatsächlich handelte es sich um einen gefährlichen Sprengsatz.

Eindrücklich schilderte Rößler die kurz darauf folgenden Schüsse auf den Laden und wie er sich in die Toilette des Ladens retten konnte, wo er bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte in Todesangst ausharren musste. Er sei fest davon ausgegangen, sterben zu müssen und habe seiner Familie eine Abschiedsnachricht geschrieben. Als er flüsternd aus seinem Versteck die Polizei angerufen habe, sei er von dieser angeherrscht worden, er solle lauter sprechen. Auch nach dem Eintreffen der Sicherheitskräfte sei ihm von diesen keine besondere Empathie entgegengebracht worden, so habe man ihm etwa keinerlei Hilfe angeboten und er sei irgendwann allein nach Hause gegangen. Am Abend habe er sich dann von sich aus an die Mobile Opferberatung gewandt, durch die er viel Unterstützung erfahren habe. Bis heute leide er an gravierenden psychischen Folgen der Tat, berichtete Rößler.

Im Anschluss an die Aussage des Zeugen wurden mehrere Atteste zu den psychischen Folgen für verschiedene Betroffene des Anschlags verlesen. RAin Doreen Blasig-Vonderlin führte aus, dass das Leben ihres Mandanten durch die Tat auf den Kopf gestellt worden und ein normaler Tagesablauf durch die schweren Traumatisierungen derzeit undenkbar sei. Mehrfach seien der Name ihres Mandanten und Teile der Ermittlungsakten an die Presse weitergegeben worden, die den Mandanten immer wieder kontaktiert habe. Er wolle aber ausdrücklich nicht in der Öffentlichkeit stehen. RAin Blasig-Vonderlin wandte sich direkt an die Presse und bat diese, den Namen ihres Mandanten nicht zu nennen und keine Kontaktversuche mehr zu unternehmen.

Als nächsten Zeugen hörte das Gericht nach einer kurzen Pause Erik F. an, der sich am Tattag auf der Magdeburger Straße aufgehalten habe. Er habe dort das Auto des Angeklagten gesehen, Reifenquietschen gehört und beobachtet, wie das Auto zunächst einen Schwarzen Mann angefahren habe und dann auf dem linken Fahrstreifen an einer Straßenbahnhaltestelle vorbeigerast sei. Es habe dabei direkt auf eine Gruppe von Schwarzen Menschen “zugehalten”, die dem Auto aber hätten ausweichen können, berichtete F.

Der Nebenkläger Aftax Ibrahim, bei dem es sich um den angefahrenen Schwarzen Mann handelt, wurde im Anschluss als Zeuge gehört. Er berichtete, wie er am Tattag gemeinsam mit einem Freund an der Haltestelle Magdeburger Straße aus der Tram gestiegen sei. Seine Begleitung habe das Auto als Erster bemerkt und ihn gewarnt. Als sich Ibrahim umgedreht habe, habe er nur noch gesehen, wie es sehr schnell auf ihn zugefahren sei. Nach dem Zusammenstoß sei er zu Boden gefallen und ohnmächtig geworden. Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er geblutet und sei in einem Krankenhaus versorgt worden. Erst dort sei ihm gewahr geworden, dass es sich nicht um einen Unfall, sondern einen Angriff gehandelt habe. Ein Arzt habe ihm von den Schüssen an anderen Orten berichtet und erzählt, dass der Täter andere Menschen getötet habe. Bis heute leide er unter den psychischen Folgen der Tat und wolle nicht mehr in Halle leben, erzählte Ibrahim. Er habe hier viele schlechte Erfahrungen mit Rassismus gemacht, nicht nur der Anschlag zähle dazu. Auch vor dem Hintergrund des Anschlags von Hanau traue er sich heute etwa nicht mehr, mit Freunden in einer Shisha-Bar zu sitzen.

Nach Ibrahim bestätigte der erwähnte Freund als Zeuge die Geschehnisse. Er habe seinen Freund vor dem Auto gewarnt, den Aufprall selbst allerdings nicht sehen können.

Im Anschluss verlas die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens die schriftliche Aussage des Mandanten von RAin Blasig-Vonderlin. Als Arbeitskollege des getöteten Kevin S. hatte er sich am Tattag mit S. im “Kiez Döner” aufgehalten. In der schriftlichen Aussage schildert er das Tatgeschehen. Bis heute mache er sich schwere Vorwürfe und leide massiv unter den psychischen Folgen der Tat. In der Öffentlichkeit wolle er nicht stehen.

Am Nachmittag hörte das Gericht außerdem dem Fahrer eines Krankentransporters, der am Steintor vom Auto des Angeklagten touchiert worden war, sowie einen Polizeibeamten, in dessen Richtung in der Nähe des “Kiez Döners” geschossen worden war, als Zeugen an. Die Vorsitzende Richterin verlas zudem die Aussage einer ehemaligen Lehrerin des Angeklagten bei der Polizei. Die Lehrerin beschrieb den Angeklagten dort als unauffällig und sagte aus, sie könne sich an keine Besonderheiten erinnern.

Die Verhandlung wird am Mittwoch, 23. September 2020, fortgesetzt.

Krankheitsbedingt konnte democ. den 14. Verhandlungstag im Halle-Prozess nicht besuchen. Der obenstehende Bericht basiert auf der Mitschrift der Kolleg*innen von Radio CORAX. Herzlichen Dank für die große Unterstützung.

Das Protokoll zum 14. Verhandlungstag wird voraussichtlich im Mai 2021 veröffentlicht.