QuerfrontZwischen Reichs- und Regenbogenflagge: Corona-Querfront befindet sich im Aufwind

In ganz Deutschland hatte es in den letzten Monaten immer wieder Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen gegeben, die vor allem von Verschwörungsideologien und NS-Relativierungen geprägt waren.

Die Demonstration am 1. August in Berlin nahm jedoch bisher ungekannte Ausmaße an. Nach Angaben der Polizei versammelten sich rund 20.000 Personen aus verschiedensten Städten.

Die Demonstration vereinte extrem heterogene weltanschauliche Milieus, von Neonazis und Reichsbürgern über AfDler bis hin zu Teilnehmer*innen, die eher hippiemäßig und links-alternativ auftraten. Aus dem rechten Spektrum waren beispielsweise mehrere hochrangige NPD-Politiker, Simon Kaupert von der neurechten NGO Einprozent, eine Vielzahl an „Reichsbürgern“ und der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Günther zugegen. Auch weniger bekannte Teilnehmer*innen zeigten sich mit rechter Symbolik – sei es ein Shirt der „Identitären Bewegung“ mit der Aufschrift „Europa Nostra“, Kleidung von „Thor Steinar“, zahlreiche schwarz-weiß-rote Reichsflaggen oder ein Shirt von der Band „Die Lunikoff Verschwörung“. Mehrfach wurden Cover der rechtsextremen Zeitschrift „Compact“ hochgehalten.

Gleichzeitig ist trotzdem zu betonen, dass diese offen rechtsextremen Teilnehmer*innen zwar einen wesentlichen Teil, nicht aber die Mehrheit der Demonstrant*innen ausmachten. In anderen Teilen des Demonstrationszuges bekam man zwischen Seifenblasen und fröhlicher Musik eher den Eindruck, sich bei einer Techno-Parade zu befinden. Die Demonstrant*innen bedienten sich an scheinbar harmlosen Schlagwörtern wie „Freiheit“, „Liebe“, „Wahrheit“ oder „Toleranz“, unzählige bunte „Pace“-Flaggen wurden geschwenkt. Trommelgruppen und barfüßige Hippies liefen neben Demonstrant*innen, die sich auf das Christentum bezogen. Andere Teilnehmer*innen waren eher durch ein bürgerliches Auftreten charakterisiert, nicht wenige waren mit Kindern angereist.

Diese volksfestartige Stimmung sollte allerdings nicht über den deutlichen ideologischen Charakter der Veranstaltung hinwegtäuschen. An der scheinbaren weltanschaulichen Unvereinbarkeit schien sich keiner der Anwesenden zu stören. Der wesentliche gemeinsame Nenner zwischen den heterogenen Teilnehmer*innen bestand, wie schon bei den vergangenen Protesten, aus antisemitischen Verschwörungsideologien, NS-Relativierung und einem ausgeprägten Hang zum Irrationalismus. Dabei wurden aktuelle Verschwörungstheorien rund um Corona kombiniert mit den verschiedensten Mythen, die schon seit Jahren in verschwörungsideologischen Kreisen kursieren. Immer wieder war die Rede von der „Fake-Pandemie“ oder der „Plandemie“. Ein wiederkehrendes Motiv war auch die Impfgegnerschaft. Einerseits wurde die „herkömmliche“, allgemeine Gegnerschaft gegenüber Impfungen per se vorgetragen, anderseits wurden auch spezifische Verschwörungstheorien rund um die (noch nicht existente) Corona-Impfung verbreitet. So wurde etwa behauptet, Bill Gates, „die Politik“ oder „die Eliten“ würde alle überwachen und steuern wollen und den Menschen mittels Zwangsimpfungen Mikrochips implantieren. Daneben gab es beispielweise Bezüge auf die vermeintliche 5G-Verschwörung, die „Neue Weltordnung“ und die „QAnon“-Bewegung.

Das gefährliche an Verschwörungstheorien ist nicht nur ihre Faktenresistenz, sondern auch, dass sie stets mehr oder weniger subtil antisemitische Welterklärungsmuster transportieren. Die Vorstellung von der kleinen, böswilligen verschwörerischen Elite ist nur ein Fußbreit vom Glauben an die jüdische Weltverschwörung entfernt. Kein Wunder, dass sich auch expliziter Antisemitismus bei der Demonstration am 01.08. zeigte: Ein Teilnehmer trug ein „Fuck Zion“ Shirt, auf dessen Rückseite dazu aufgefordert wurde, die antisemitische Schrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ zu lesen, andere relativierten den Holocaust.

Die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen war ein weiteres verbindendes Glied unter den Teilnehmenden. Mehrfach waren Judensterne zu sehen, in denen „Ungeimpft“ stand. Die Gleichsetzung der Situation von Impfgegnern in der Bundesrepublik mit der Verfolgung und Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus ergänzte die immer wieder vorgetragene Gleichsetzung der aktuellen Regierung mit dem nationalsozialistischen Regime. Die Teilnehmer*innen wähnten sich als Opfer des „Faschismus“ und einer „Diktatur“.

Die verschwörungsideologischen Bündnisse quer durch die politischen Lager hindurch lassen sich mit dem Begriff der „Querfront“ wohl am besten fassen. Der Querfront-Begriff ist dabei nicht mit hufeisentheoretischen Ansätzen zu verwechseln – der Begriff meint nicht, dass Linke und Rechte als „Extremisten“ gleichzusetzen wären. Vielmehr wird damit die (selbst-)erklärte Auflösung der Rechts-Links-Einteilung unter Rückgriff auf einen völkischen Begriff von Gesellschaft als Gemeinschaft zu fassen versucht. Auch auf der Demonstration am 01.08. beschworen viele Teilnehmenden und Redner*innen die Überwindung des Links-Rechts-Schemas. Das Motto: Gemeinsam gegen die da oben. Dabei erinnert die Zusammensetzung der Teilnehmer*innen ebenso wie das krude Ideologiegemisch stark an die „Mahnwachen für den Frieden“ von 2014, die schließlich in der PEGIDA-Bewegung mündeten.

Linke Organisationen oder antifaschistische Gruppen waren – im Gegensatz zu rechten Funktionären – nicht unter den Teilnehmenden. Dennoch bezogen sich die Demonstrant*innen häufig auf verschiedenste Fragmente, die eher einer linken Weltanschauung oder Subkultur zuzuordnen sind. Einige Schilder oder Kleidungsstücke trugen Statements gegen Rassismus oder bezogen sich positiv auf Pro Asyl, an anderer Stelle tanzten Demonstrant*innen hinter einem Wagen mit der Aufschrift „No Border, No Nation“.

Interessant war in diesem Zusammenhang auch die Umdeutung linker Symbolik und Rhetorik, die an vielen Stellen zu beobachten war. So wurde etwa der Slogan „Kein Mensch ist Illegal“ umgewandelt zu „Keine Meinung ist illegal“ und der feministische Slogan „My Body, My Choice“, der sich ursprünglich für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen einsetzt, im Sinne der Impfgegner-Ideologie umgewidmet. Unter dem Deckmantel vermeintlich progressiver Werte können so irrationale und antidemokratische Botschaften verbreitet werden.

Zudem fiel ein ausgeprägtes Strafbedürfnis unter den Teilnehmenden auf. Politiker, wie Merkel oder Spahn, und Wissenschaftler, wie Christian Drosten, die für die unliebsamen Corona-Maßnahmen verantwortlich gemacht werden, sollen abgestraft und weggesperrt werden, wie auf mehreren T-Shirts und Bannern zu lesen war. Das autoritäre Bedürfnis zu strafen, statt sich demokratisch auseinanderzusetzen, steht in starkem Kontrast zur Selbstinszenierung als demokratische Freiheitskämpfer.

Die Teilnehmenden betrachteten sich als Widerständler, Wahrheitskämpfer und Revolutionäre. Häufig war zu hören, das System müsse gestürzt werden. Die Reden auf der Abschlusskundgebung waren durchweg von einer starken Selbstheroisierung geprägt. Man habe Historisches geleistet, hieß es, und der 1. August würde der neue Nationalfeiertag werden. Die Selbstüberschätzung und Faktenresistenz der Bewegung zeigte sich auch in der schlichten Falschinformation über die Anzahl der Anwesenden. Ein Redner behauptete, es seien 1,3 Millionen Menschen anwesend, was von der Menge jubelnd aufgenommen wurde, aber in krassem Kontrast zur Schätzung der Polizei von rund 20.000 Personen steht.

Konkrete politische Forderungen wurden nicht verlautbart – mit Ausnahme der „Masken Weg“-Rufe und -Schilder. Konsequenterweise trugen fast alle Demonstrant*innen keine Masken, Sicherheitsabstände wurden nicht eingehalten. Immer wieder wurden Journalist*innen und Polizist*innen aggressiv aufgefordert, ihre Masken abzunehmen. Auch darüber hinaus war die Veranstaltung von einer pressefeindlichen Stimmung geprägt, Journalist*innen wurden bespuckt und sahen sich mit „Lügenpresse“-Rufen und Beleidigungen konfrontiert.

Die Polizist*innen vor Ort, die sich in extremer Unterzahl befanden, hatten keine Chance, die Maskenpflicht und die Auflagen bezüglich der Sicherheitsabstände durchzusetzen. Die Beamt*innen waren nur punktuell anzutreffen, große Teile des Demozuges blieben unbegleitet. Eine sichere Pressearbeit war so nicht gewährleistet. Erst nach sieben Stunden, gegen Ende der Veranstaltung, begann die Polizei durchzugreifen und löste die Versammlung wegen der nicht eingehaltenen Auflagen auf. Die unzureichende Polizeipräsenz verwundert umso mehr, da die Problematik bereits im Vorfeld bekannt war. So warnte Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union: „Wir rechnen am Wochenende mit einer hohen Gewaltbereitschaft auf Seiten der Teilnehmer. […] Wir erwarten von der Polizei am Wochenende einen effektiven Schutz und Unterstützung von Journalisten und kein Zuschauen und Abwarten.“ Die heutige Polizeistrategie war weder geeignet, die notwendigen Hygienemaßnahmen durchzusetzen, noch den Journalist*innen ihre Arbeit zu ermöglichen.

Gegen den verschwörungsideologischen Aufmarsch der Corona-Leugner*innen gab es am Rande vereinzelte Proteste.

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