Kontinuitäten der Shoa
Am 8. September 2020 fand der zehnte Verhandlungstag gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle statt. Es wurden vier Zeug*innen gehört, die sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befanden. Die Überlebenden schilderten in ihren Statements das einschneidende Erlebnis und die Folgen. Sie erzählten, wie sie sich heute in Deutschland fühlen, was ihnen Angst macht und was ihnen Hoffnung für die Zukunft gibt. Dabei wurde erneut deutliche Kritik am Umgang der deutschen Politik und Gesellschaft mit dem Problem des Antisemitismus laut.
Als erste Zeugin sprach Rabbinerin Rebecca B., die zu Jom Kippur mit ihrer Familie nach Halle gereist war. In einem eindrücklichen Statement verdeutlichte sie die Notwendigkeit, die Bedeutung intergenerationaler Traumata zu bedenken, um die Tragweite des Attentats für die Nachfahren von Shoa-Überlebenden verstehen zu können. Damit das Gericht verstehen könne, was sie am 9. Oktober durchgemacht habe, sei es wichtig, mehr über die Geschichte ihrer Großeltern zu teilen: „My testimony today is about the reactivation of a deep family trauma”. Vor ihrer Aussage habe die Zeugin mit ihrer Großmutter telefoniert, um mit ihr über ihre Erinnerungen an die Shoa zu sprechen. Diese habe Auschwitz, Zwangsarbeit und Bergen-Belsen überlebt. Rebecca B. zitierte ihre Großmutter Olga, die an den Toren von Auschwitz durch Dr. Mengele von ihrer Mutter getrennt worden sei: „I was 16 years old and I was holding on to my mother. Dr. Mengele said that I needed to go to another line along with my sisters. My mother had a piece of bread under her arm and before we parted, she said ‘I want you to have this piece of bread‘. I remember Dr. Mengele hitting her over the head when she gave it to me and she fell on the floor. I wanted to turn back to help my mother, but they didn’t let me. And all these years I was feeling guilty that I couldn’t save my mother. It stayed with me for years and years and I never saw my mother again.” Ihre Großmutter habe sie bestärkt, so die Zeugin, ihre Geschichte zu teilen und keine Angst zu haben. „My grandmother never had the opportunity to testify before a german or even a international court. And today I have this chance.” Es sei wichtig, solche Details aus der Geschichte ihrer Großmutter zu kennen, um ihr eigenes Trauma zu verstehen.
Anschließend erzählte Rebecca B., was ihr und ihrer Familie am 9. Oktober 2019 widerfahren sei. Ihre kleine Tochter sei kurz vor dem Anschlag von ihrer Babysitterin aus der Synagoge abgeholt worden, damit sie und ihr Mann, Rabbi Jeremy B., sich auf den Festtag konzentrieren konnten. Als dann der Attentäter versuchte, in die Synagoge einzudringen, habe sie die Babysitterin nicht gleich erreicht. Sie erinnere sich an die überwältigende Panik. Die Wiedervereinigung mit ihrer Tochter sei durch die polizeilichen Maßnahmen sehr erschwert und verzögert worden. “What I wanted was for someone to see that the synagogue had become a safe haven and to let my daughter in.” Aber sie habe sich niemandem deutlich machen können und sei so an diesem Tag ohne absehbares Ende von ihrer 15 Monate alten Tochter getrennt gewesen. “I have a normal mothers’ fear of being separated from my children. But I also have another thing which is the trauma that I inherited from my grandma of being separated from her mother at the gates of Auschwitz.” Damit sei diese ganze Situation, die durch den Angeklagten verursacht und durch das Vorgehen der Polizei aufrecht erhalten wurde, extrem traumatisch gewesen. Die Problematik intergenerationaler Traumata sei nicht auf sie persönlich beschränkt. Auch wenn es immer weniger Überlebende gebe, so würde deren Erinnerungen und Traumata sich auch heute in den Erfahrungen von ihren Kindern, Enkeln und Urenkel zeigen. “I need this court to know that even though the Shoa is over its effects have not passed. It’s not just a fact of history it is something that continues to be present with us today.”
“Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.” Mit diesem Zitat von Heinrich Heine begann die zweite Zeugin des Tages, Naomi H., ihre Aussage. Sie erklärte zunächst, dass sie sich dagegen entschieden habe, auf Deutsch auszusagen. “Testifying in English helps me to detach from the pain that my family has experienced throughout generations”. Sie komme aus einer Familie, die seit Jahrhunderten in Deutschland verwurzelt sei und sich auch nach dem Nationalsozialismus und der Shoa entschieden hätten, ihre Leben hier wieder aufzubauen. Sie sei mit dem Wissen um die Familie ihrer Geschichte aufgewachsen, aber auch mit Vertrauen in die deutsche Nation, dass sie ihre Lektion aus der Vergangenheit gelernt hätten. Doch dieses Vertrauen sei zunehmend geschwunden. Nach einigen unangenehmen Erfahrungen habe sie sich schließlich entschieden, langfristig nach Israel zu ziehen. Einzig wegen ihrer Rabbinatsausbildung sei sie noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt. Der Gedanke, etwas zur Wiederbelebung des jüdischen Lebens in Deutschland beizutragen, sei damals in ihr gewachsen, ehe das Attentat geschah. “The course we are currently taking is deeply troublesome”. Sie kritisiert das mediale Narrativ der “guten Tür”, die sie angeblich alle gerettet habe. “It was not the door that saved us”. Der Angeklagte habe potentiell tödliche Splitterbomben über die Mauer geworfen – ihr komme es so vor als würde diese Tatsache ignoriert und stattdessen auf die Geschichte der “guten Tür” aus “guter deutscher Eiche” zurückgegriffen. “This need to find the one good german, who managed to save the life of jews – it does not belong here. Instead I would like to see german governmental structures and german society at large really rethinking what they are doing to protect their minorities and the most vulnerable members of their society.” Zudem kritisierte die Zeugin die Ermittlungen des BKA scharf. Die Ermittler hätten sich keine Imageboards angesehen, die Online-Spiele des Angeklagten nicht ausprobiert, sie hätten die Parallelen zwischen diesem und anderen Attentaten, etwa in Christchurch, El Paso oder München, ebenso wenig untersucht wie die Narrative, die das Fundament der Tat gebildet hätten.
“To most Germans, jewish life in Germany seems to be something that died out, that is part of the past”. Sie setze sich für ein lebendiges Judentum ein, das mit seiner Umgebung im Dialog steht, sagte Naomi H. Dafür würden es jedoch objektiv an Sicherheit und dem Sicherheitsgefühl mangeln. In einer Synagoge wolle sie sich wohl und zuhause fühlen: “I would like to ask everyone present in this room, if you would know that you need to equip your home with bulletproof doors and windows, how comfortable would you feel living in this place that you currently call your home.” Trotz allem bekundete die Zeugin ihren Willen, weiter an einer besser Zukunft und einer besseren Gesellschaft arbeiten, die auf Respekt und gegenseitiger Wertschätzung gegründet sind. “I’d like to continue my family’s legacy and build bridges where others build walls.”
Als dritter geladener Zeuge erschien Alexander R. Er ist seit 20 Jahren Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Halle. Dort habe er die Aufgabe, den Kantor auf der Bima beim Lesen der Thora zu unterstützen. Auch seine 21-jährige Tochter sei am 9. Oktober mit ihm in der Synagoge gewesen. Als der Attentäter versuchte, in die Synagoge einzudringen, habe er den bewaffneten und uniformierten Mann auf dem Überwachungsmonitor gesehen. Wie schon andere Zeugen vor ihm, gab auch Alexander R. an, dass die Synagogenbesucher nach dem Anschlag lange keine Informationen von der Polizei erhalten hätten. Auf die Frage nach dem fehlenden Polizeischutz der Synagoge erzählte der Zeuge, die Polizei sei sich sicher gewesen, dass nichts passiere und habe gesagt, das die Situation unter Kontrolle sei. Er finde aber, auch in Halle hätte – wie vor anderen Synagogen, die er kenne – Polizei zum Schutz vor Ort sein müssen, insbesondere an den Feiertagen.
Als letzter Zeuge an diesem Tag wurde Max Privorozki gehört, der Geschäftsführer und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle. Er wird zunächst zum damaligen Sicherheitskonzept befragt. Der Zeuge gibt an, dass er ein- bis zweimal im Jahr mit der Polizei diesbezüglich Kontakt gehabt habe. Die Polizei habe regelmäßig die Sicherheitslage geprüft und dementsprechend über Maßnahmen entschieden – die jüdische Gemeinde sei in diesen Prozess nicht eingebunden gewesen, man sei lediglich benachrichtigt worden. Nach dem Attentat auf den Breitscheidplatz hätte Angst in der Gemeinde heherrscht, sodass er die Polizei explizit um Unterstützung gebeten habe – diese sei ihm aber verwehrt worden. Man habe sich daran gewöhnt, dass es in Halle so läuft und würde sich seitdem selbst um das eigene Sicherheitskonzept kümmere. Nach dem Attentat gebe es nun mehr Sicherheitsmaßnahmen und Polizeischutz vor der Synagoge – das mache die Leute nervös, “aber so ist unser Leben”.
Max Privorozki schilderte anschließend die Ereignisse vom 9. Oktober aus seiner Sicht. Als er begriffen habe, dass es einen Anschlag auf die Synagoge gebe, habe er mit zitternden Händen die Polizei gerufen. Auch wenn es nur 10 Minuten gewesen seien, habe sich die Zeit des Wartens nach dem Anruf wie eine Ewigkeit angefühlt. Nachdem er die Polizei gerufen hatte, habe er als nächstes den Zentralrat der Juden in Deutschland informiert, damit die Information schnellstmöglich in allen jüdischen Organisationen bekannt werde. Man habe ja nicht gewusst, ob es sich vielleicht um eine organisierte Aktion handele, die in mehreren Städten abläuft.
Am Tag des Anschlags sei er die ganze Zeit aktiv gewesen, und habe mit Politikern und Medien in Kontakt gestanden. Da habe er noch keine Zeit gehabt, zu verarbeiten, was passiert war. Erst später habe er auch die psychischen Spätfolgen des Attentats gespürt, etwa als er in der Silversternacht sehr schlecht mit den lauten Geräuschen der Böller zurecht gekommen sei. Privorozki erzählte, wie wichtig für ihn die mannigfaltigen Solidaritätsbekundungen waren, die die Gemeinde nach dem Attentat von Juden und Nicht-Juden erreichten. Er fühle sich seit dem 9. Oktober wesentlich mehr in Deutschland zu Hause, weil er gesehen habe, dass die absolute Mehrheit der Menschen – egal wie unterschiedlich – geeint seien gegen Hass, gegen Mord und gegen Nazis. Das sei der Unterschied zwischen 2019 und 1938, als die Synagoge schon einmal von den Nazis angegriffen wurde. Er hoffe sehr, dass die jüdische Gemeinschaft, die Demokratie und die Freiheit unserer Gesellschaft weiter gute Chancen haben, solche Ereignisse zu überstehen.
Zum Schluss erklärte Privorozki seine Motivation, auch als Nebenkläger am Prozess teilzunehmen. Er habe dafür zwei Gründe. Einer der Gründe sei, dass er hoffe, dass die Rolle der Eltern des Angeklagten im Rahmen des Prozesses noch stärker zum Thema gemacht werde. Er sei selbst Vater von zwei Töchtern. Er glaube ja, dass die Eltern nichts über den konkreten Tatplan und Zeitpunkt gewusst haben mögen. “Aber ich bin absolut überzeugt, dass es nicht möglich ist, dass die Eltern keine Ahnung hatten, dass ihr Sohn etwas vorbereitet”. Der Angeklagte habe zu Hause gewohnt und sei von seinen Eltern finanziell abhängig gewesen – er fragt, wie man da so eine Operation vorbereiten könne, ohne dass die Eltern sich Gedanken machen. Die zweite Motivation für den Nebenkläger sei gewesen, dass er verstehen wolle, wie es zum Umschlagen im Kopf des Attentäters gekommen ist, sodass dieser vom “normalen” Antisemiten zum Mörder wurde. “Wie kann jemand einen anderen Menschen ermorden, nur weil er anders ist als ich?”
Gegen Ende des Verhandlungstages wurden einige Lichtbildmappen mit Fotos aus den Wohnungen von Vater und Mutter des Angeklagten in Augenschein genommen. Darunter befanden sich auch Fotos von seiner Metallwerkstatt auf dem Grundstück des Vaters, in dem der Angeklagte mit den Waffen experimentiert haben will. Die Verhandlung wird am 9. September 2020 fortgesetzt.
Hauptverhandlung gegen Stephan B. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht Naumburg
- Verhandlungstag (8. September 2020)
CN: Das nachfolgende Protokoll enthält explizit gewaltverherrlichende, rassistische, antisemitische und menschenverachtende Aussagen und Ausdrücke.
Wir protokollieren die vollständige Hauptverhandlung gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle. Wir versuchen dabei, so nah wie möglich am Wortlaut der Verhandlung zu bleiben, direkte Zitate sind durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Da es nicht zulässig ist, die Verhandlung mitzuschneiden, entsteht unser Protokoll auf Basis unserer Mitschriften aus dem Gericht.
Einige Passagen haben wir bewusst gekürzt. So werden etwa Inhalte, die die Persönlichkeitsrechte von Prozessbeteiligten oder Dritten verletzen könnten, nicht veröffentlicht. Zudem streichen wir in der öffentlich zugänglichen Fassung des Protokolls jene Passagen, die Details der Tat und Tatplanung beinhalten und deren Veröffentlichung eine Gefahr, etwa durch Nachahmer, darstellen könnte. Die entsprechenden Abschnitte werden mit “[XXX]” gekennzeichnet. In begründeten Ausnahmefällen können etwa Wissenschaftler*innen oder Journalist*innen die gestrichenen Passagen bei uns anfragen.
Nachnamen werden ggf. abgekürzt. An Stellen, an denen uns unser Protokoll nicht präzise genug war, etwa weil Wortbeiträge unverständlich vorgetragen wurden, haben wir Auslassungen auf die gängige Weise “[…]” angegeben.
Die Sitzung beginnt um 09:39 Uhr. Die Vorsitzende Ursula Mertens stellt die Anwesenden fest. Sie sagt, an den letzten beiden Verhandlungstagen habe es manchmal Applaus nach den Aussagen der Zeugen gegeben. Sie habe es nicht so aufgefasst, dass der Applaus zur Störung der Hauptverhandlung gedacht gewesen sei. Gleichwohl sei das Gericht gehalten, dafür zu sorgen, dass die Verhandlung in ruhiger, neutraler Atmosphäre ablaufe. Deshalb bitte sie darum, von Applaus Abstand zu nehmen. Sie habe es so verstanden, dass der Applaus der Unterstützung der geschädigten Zeugen dienen sollte. Das könne man auch anders gewährleisten, zum Beispiel in der Pause nach den Aussagen. […]
Befragung der Zeugin Rebecca B.
Als erste Zeugin wird Rebecca B. mit ihrer Anwältin RAin Antonia von der Behrens von der Vorsitzenden Mertens begrüßt. Eine Dolmetscherin übersetzt Frau B.s Aussage aus der englischen Sprache ins Deutsche. Die Vorsitzende belehrt die Zeugin über ihre Zeugenpflichten und befragt sie zu ihren Personalien. [XXX, Personalien, Anm. democ.]
Die Vorsitzende sagt, die Zeugin sei im letzten Jahr schon ab Mittwochabend in Halle zu Besuch gewesen, um dort Jom Kippur zu begehen. Die Zeugin bestätigt das. Die Vorsitzende bittet sie, erstmal ihre Erinnerungen an die Geschehnisse zu schildern. Die Zeugin sagt, sie äußere sich sehr gern dazu. “The first thing I would like the court to know, is that I come from a family of Shoa survivors”. Sie habe einen Großvater Michael, der das Ghetto in Lodz und einen Großvater aus Polen, der die politische Deportation nach Sibirien überlebt habe. Sie habe eine Großmutter Irene, die aus der ehemaligen Tschechoslowakei stamme und Auschwitz überlebte. Ihre andere Großmutter Olga, die aus einem Ort in der heutigen Ukraine komme, habe Auschwitz, Zwangsarbeit und Bergen-Belsen überlebt. Seit sie ein Kind war, habe sie, B., gewusst, dass ihre bloße Existenz angesichts ihrer Familiengeschichte einem Wunder gleichkomme. Später, als sie älter geworden sei, sei ihr auch klar geworden, das mit dieser Geschichte ein intergenerationales Traum verbunden sei. Überdies habe während eines Großteils ihrer Kindheit keiner der Großeltern etwas von der Vergangenheit erzählt. Sie habe gewusst, dass ihre Großmutter Olga ein schweres Trauma erlebt habe, als sie in Auschwitz sofort durch Dr. Mengele von ihrer Mutter getrennt worden sei. Sie habe das gewusst weil ihre Tante Dreysel nach der Mutter ihrer Großmutter benannt worden sei. Aufgrund der Tatsache, dass ihre Großeltern ihre Geschichte nicht mit ihnen haben teilen können, habe sie sich als junge Erwachsene entschieden nach Deutschland zu gehen – um hier zu leben und mehr herauszufinden. Und so habe sie sich im Mai 2019 entschlossen, mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter nach Deutschland zu ziehen, um hier zu leben, um sich der Geschichte zu stellen, aber auch um die jüdische Gemeinde hier zu unterstützen. Allerdings sei sie aufgrund der Taten des Angeklagten für ihren Geschmack zu sehr mit der Geschichte konfrontiert worden: “My testimony is about the reactivation of a deep family trauma.” Damit das Gericht verstehen könne, was sie am 9. Oktober durchgemacht habe, sei es wichtig, dass sie einige Details der Geschichte ihrer Großmutter Olga mit ihnen teile. Ihre Großmutter habe eine Geschichte der Trennung und des Überlebens erlebt, als sie 1944 in Auschwitz angekommen sei. Sie sei am 19. Mai aus ihrer Heimatstadt angekommen. Bei ihr seien ihre beiden Schwestern und ihre Mutter Dreysel gewesen. Die Zeugin erzählt, ihre Großmutter sei heute 91 Jahre alt und lebe in New York. Um sich an die Details der Geschichte zu erinnern, habe sie sie zwei Abende zuvor angerufen. Rebecca B. sagt, sie wolle einiges von dem teilen, das ihre Großmutter ihr erzählte – einfach um deutlich zu machen, was in ihr selbst vorgegangen sei. Sie zitiert ihre Großmutter Olga: “My mother said: ‘You know kids, it doesn’t look so bad here. There is music playing, there are nice houses, maybe everything will be okay. This was when we were lining up to go to Birkenau. I was 16 years old and I was holding on to my mother and Dr. Mengele said that I needed to go to another line, along with my sisters. My mother had a piece of bread under her arm and before we parted, she said ’I want you to have this piece of bread.’ I remember Dr. Mengele hitting her over the head when she gave it to me and she fell on the floor. I wanted to turn back to help my mother, but they didn’t let me. And all these years I was feeling guilty that I couldn’t save my mother. It stayed with me for years and years and I never saw my mother again.’”
Die Zeugin erzählt, ihre Großmutter habe ihr während des Telefonats beschrieben, wie Auschwitz ausgesehen habe. Sie habe ihr erzählt, wie sie Feuer und Knochen aus den Schornsteinen kommen gesehen habe. Sie habe den Himmel dort als Hölle auf dieser Erde beschrieben. “I share this here knowing that it’s difficult, because all of this is important to the nature of my trauma.” Ihre Großmutter habe erzählt, dass sie 45 Cousins und Cousinen während des Krieges verloren habe. Und sie habe berichtet, dass sie nach sieben Wochen in Auschwitz für eine Verlegung ausgewählt worden sei. Sie sei zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen in Deutschland geschickt worden. Ihr Job sei es gewesen, in der Bombenräumung zu arbeiten. Danach habe sie zur Zwangsarbeit nach Essen gemusst, wo sie in der Waffenfertigung für Krupp tätig war. “And finally she was relocated one last time to Bergen-Belsen where she expected to die. I will share one final story she told me from Bergen-Belsen. I share this just to highlight the depth of the trauma that still exists in our family.” Ihre Großmutter habe in Bergen-Belsen einmal ein Loch im Tor zur Küche des Lagers bemerkt. Ihre beiden Schwestern, mit denen sie zusammen geblieben war, hätten beide hohes Fieber gehabt. Gemeinsam mit zwei anderen Mädchen habe sie Großmutter entschieden, sich in die Küche zu schleichen um dort etwas zu essen oder zu trinken zu bekommen. Als sie aus der Küche herausgekommen seien, habe ihre Großmutter drei Gewehrschüsse gehört. Ein Mädchen neben ihr sei in den Bauch geschossen, das andere am Bein getroffen worden. Die Schwester der Großmutter habe das von Weitem gesehen und gedacht, dass auch sie, B.s Großmutter, tödlich getroffen worden sei, da sie am Boden gelegen habe. Aber die Großmutter sei blutüberströmt aufgestanden und weggerannt. Sie habe überlebt, weil die dritte Kugel nicht getroffen hätte.
Ihre Großmutter sage häufig, selbst nach all diesen Erlebnissen: “Look at me now. Look what I produced, such a great family.” Ihre Großmutter sei die einzige, die wirklich verstehe, was sie durchgemacht habe. […] Weil sie nicht wirklich damit aufgewachsen sei, über die Shoa zu reden, sei es manchmal hart für sie über die Erfahrungen ihrer Großeltern zu sprechen. Sie habe manchmal das Gefühl, dass es zu privat sei oder zu verletzend für sie sein könnte. “My Grandma told me explicitly, that I should share everything that she tells me.” Ihr Großmutter habe ihr gesagt: “Don’t be afraid”. Rebecca B. sagt: “My Grandmother never had the opportunity to testify before a german or even an international court, and today I have this chance; and I need this court to know that even though the Shoa is over, its effects have not passed. It’s not just a fact of history, it is something that continues to be present with us today.”
Anschließend berichtet die Zeugin über ihre Erlebnisse vom 9. Oktober. Da das Gericht schon viel über die allgemeinen Tatsachen gehört habe, möchte sie sich gern auf einen Aspekt konzentrieren, der ihr und ihrer Familie widerfahren sei. Wie ihr Mann schon berichtet habe, seien sie nach Halle gefahren, um dort an den Gottesdiensten teilzunehmen. Auch ihrer Tochter, die zu dem Zeitpunkt 15 Monate alt war, sei dabei gewesen. Die Zeugin bittet darum, dass der Name ihrer Tochter anonym gehalten werde.
Da es schwierig sei, sich mit einem 15 Monate alten Kind auf die Vorgänge zu konzentrieren, hätten sie ihre Babysitterin aus Berlin gebeten am Morgen des 9. Oktober zu ihnen zu kommen. Diese sei gegen 10:30 Uhr angekommen und habe die Synagoge auf dem üblichen Weg betreten. Die Babysitterin habe einige Sachen für ihre Tochter zusammen gesammelt. Sie hätte lose Pläne gehabt, z.B. einen Spaziergang zu machen oder auf einen Spielplatz zu gehen. Sie hätten damit gerechnet, dass es gegen 14:00 Uhr eine Pause des Gottesdienstes geben würde. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Babysitterin zurückkommen sollen um Milch, Essen, usw. abzuholen. Die Babysitterin habe gegen 10:45 Uhr mit ihrer Tochter die Synagoge verlassen – “and then we know what happened soon after that”. Um kurz nach 12 habe immer noch Panik und Verwirrung geherrscht. Sie habe die Babysitterin angerufen, um ihr zu sagen, dass es einen Notfall gegeben habe. Die Babysitterin sei nicht an ihr Handy gegangen, sie habe noch dreimal versucht sie anzurufen: “I was starting to go a little bit mad, I was extremely anxious.” Es sei zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht klar gewesen, was draußen passierte und sie hätte nicht gewusst, wo ihre Tochter und die Babysitterin seien. Nach 13 Uhr habe sie die Babysitterin dann erreicht und es habe sich herausgestellt, dass diese ihr Telefon abgestellt hatte, weil die Tochter geschlafen hätte. Inzwischen hätten sie gewusst, dass es eine Schießerei gegeben habe – nicht aber, ob der Täter gefasst worden sei. Sie habe der Babysitterin gesagt, sie solle im Kindercafé bleiben, wo sie sich gerade aufgehalten habe. “When I try to remember these moments, I am struck by overwhelming panic”, sie spüre das bis heute wie an diesem Tag. Sie sei dann den ganzen Tag mit der Babysitterin in Verbindung gewesen und sie hätten versucht zu klären, wie sie wieder zusammenkommen könnten. Aber bis ca. 16 Uhr hätten sie keine Vorstellung gehabt, wie es weitergehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt sei klar gewesen, dass sie evakuiert werden sollten, aber sie habe nicht weg gewollt. Die Synagoge habe sich in diesem Moment sicher angefühlt: “What I wanted was for someone to see that the synagogue had become a safe haven and to let my daughter in.” Und egal, wie sehr sie gewollt habe, dass ihr jemand zuhört und wie sehr sie sagen wollte, dass ein 15 Monate altes Kind zu seiner Mutter gehört, sie habe es niemandem deutlich machen können. “In those moments, the focus was on obeying the orders of the police. We had to line up and we had to argue about bringing our food for when we were done fasting. We were also told to form small groups, and it also started to become clear that because my daughter and the babysitter were not in the synagogue at the time of the attack, they could not be with us at the time”. Die beiden hätten anderen Befehlen Folge leisten müssen. Die Zeugin räumt ein, das höre sich vielleicht für diejenigen vernünftig an, die mit polizeilichen Vorgehensweisen und der Evakuierung eines Tatorts vertraut sind. Aber sie fragt, ob es wirklich vernünftig für irgendjemanden klinge, dass sie an diesem Tag so lange und ohne absehbares Ende von ihrer Tochter habe getrennt sein müssen. “I have a normal mother’s fear of being separated from my children. But I also have another thing, which is the trauma that I inherited from my grandma, of being separated from her mother at the gates of Auschwitz.” Damit sei diese ganze Situation, die durch den Angeklagten verursacht und durch die Polizei verstärkt worden sei, extrem traumatisch gewesen.
Schließlich hätten sie dann die Synagoge in kleinen Gruppen verlassen können. Es sei immer noch nicht klar gewesen, wann sie mit ihrer Tochter vereint sein würde. Also hätten sie und ihr Mann einen Plan gemacht. Sie habe mit einer der ersten Gruppen die Synagoge verlassen und habe mit der Babysitterin über das Telefon in Verbindung gestanden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Babysittern bereits zur Polizeiabsperrung am Wasserturm gelaufen, wo die Polizei die Angaben der Opfer aufgenommen habe. Ein Polizeibeamter habe dort ihre, B.s, Informationen aufgenommen und sie habe bereits mit der Babysittern telefoniert. Währenddessen habe ihr Mann, der noch in der Synagoge gewesen sei, der Polizei gesagt, dass er die Synagoge nicht verlassen würde, bis er die Bestätigung erhalten hätte, dass seine Tochter bei ihrer Mutter sei. Dann sei die Babysitterin durch die Polizeiabsperrung gekommen und sie wären wieder vereint gewesen. Dann habe sie ihren Mann angerufen und der habe ebenfalls die Synagoge verlassen. “At that point, I still didn’t really understand what I had survived. I was extremely dizzy and exhausted. The babysitter was also in tears and completely overwhelmed.” Die Babysittern sie mit ihnen in den Bus gekommen, auch wenn das für die Polizei verwirrend gewesen sei. Sie hätten sich aber einfach durchgesetzt. Schließlich habe die Babysittern sich entschieden, auszusteigen und nach Berlin zurückzufahren, da das für sie besser gewesen sei.
Die Zeugin sagt, sie wolle noch etwas zu ihrem Aufenthalt im Krankenhaus sagen. Die Mitarbeiter seien sehr freundlich zu ihr und ihrer Familie gewesen. Sie hätten Spielzeug und Windeln und Essen für ihre Tochter bereitgestellt. […] Es sei ihnen allen nicht erlaubt gewesen, in die Synagoge zurückzukehren, was bedeutete, dass sie weder Geld noch Übernachtungssachen für ihre Familie gehabt hätten. […] Deshalb hätten sie sich durch diese Behandlung im Krankenhaus so anerkannt gefühlt. Sie sei noch zu gestresst gewesen, um Pläne zu machen. Es sei unklar gewesen, wo sie die Nacht verbringen würden, aber ihr Mann habe sich darum gekümmert und sie seien dann im Hotel untergekommen, wo auch einige der anderen Synagogen-Besucher gewesen seien. “This too, was a very stressful situation, but seeing this stress, the staff went above and beyond for me and my daughter. And so, I would like to thank the hospital staff publicly, and to recognize them as models on how to deal compassionately with victims of trauma.” Damit sei ihre Geschichte vom 9. Oktober abgeschlossen.
Für einige Tage sei es sehr schwierig für sie gewesen, zu essen und zu schlafen. Während der nächsten beiden Monate habe auch ihre Tochter Probleme mit dem Schlafen gehabt. Sie habe im Bett ihrer Eltern geschlafen, obwohl sie dort nicht mehr geschlafen hätte, seit sie acht Wochen alt gewesen sei.
“The issue of intergenerational trauma in the jewish experience, is not unique to my story. I am not the only person in this country affected by this.” Sie glaube, dass Deutschland mit der Tatsache umgehen müsse, dass, auch wenn nur noch wenige Holocaustüberlebende am Leben seien, “their children and grandchildren are experiencing something that we must recognize. […] that will also include some official protocols that may be causing psychological harm.”
Sie sei diesem Land dankbar, dass es Ressourcen für die Sicherheit der jüdischen Community, zum Schutz vor Antisemitismus, zur Sicherung der Demokratie und zur Gewährleistung von Gerechtigkeit bereitstelle. “I would like to do my part and ask this country to do even better”. Sie sei dankbar, dass sie heute die Möglichkeit habe, Gerechtigkeit zu suchen, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Familie. Der Täter habe keinen Erfolg gehabt und er werde keinen Erfolg haben. “Ich bin der lebende Beweise dafür. Leute wie er werden nicht erfolgreich sein. Die schrecklichen Ereignisse werden mich nicht von meiner Arbeit abhalten, die jüdische Gemeinde in Deutschland zu stärken und zu unterstützen.” In der jüdischen Tradition würde man sagen, dass gute Taten dazu führen, dass eine Seele nach dem Ableben erhöht wird. Sie hoffe, mit ihrer Aussage die Erinnerung an ihre Großmutter und an Jana L. und Kevin S. zu erhöhen, die ihr Leben in den Händen von schrecklichen Menschen verloren haben. “Es ist meine Hoffnung, dass wir in ihrem Namen Gutes tun können, um eine bessere Gesellschaft zu erschaffen.”
Die Vorsitzende bedankt sich bei der Zeugin für die eindringliche Aussage und dafür, dass sie bereit gewesen sei, ihre Familiengeschichte zu erzählen. Sie fragt Rebecca B., ob ihre Tochter sich wieder erholt habe. Die Zeugin antwortet, sie habe sich glücklicherweise nach zwei bis drei Monaten erholt. Die Vorsitzende fragt, ob die Zeugin psychologische Hilfe in Anspruch habe nehmen müssen. B. antwortet, sie sei in Traumatherapie und das helfe ihr, diese Erfahrungen zu verarbeiten und einen Abschluss zu finden. Die Erinnerungen seien nicht verschwunden, aber sie könne inzwischen besser damit leben. Die Vorsitzende fragt sie, ob sie von ihrem Therapeuten eine Mitteilung erhalten habe, wann es für sie sichtbar besser werden würde. Die Zeugin verneint diese Frage. Die Vorsitzende bedankt sich, dass sie da war und sagt, sie könne ihre Auslagen geltend machen.
Der Angeklagte versucht, das Wort zu ergreifen. RAin von der Behrens beantragt, die Sitzung zu unterbrechen. Die Vorsitzende sagt, Erklärungen seien nicht in Anwesenheit eines Zeugen zu machen.
Die Sitzung wird bis 10:55 Uhr unterbrochen.
Nach der Unterbrechung kommt die Vorsitzende auf den Angeklagten Stephan B. zurück, der eine Erklärung habe abgeben wollen. Dieser sagt, der Moment sei jetzt vergangen. Dann sagt er etwas schlecht Verständliches, wobei trotzdem deutlich wird, dass es sich um eine Einlassung zum Holocaust handelt. Ein Nebenklagevertreter beanstandet dies und sagt, hier sei nicht der Platz um Holocaustleugnung vorzutragen. Die Vorsitzende sagt zum Angeklagten, sein Verteidiger habe ihm das sicherlich erklärt, dass er hier nicht irgendwelche Thesen zu verbreiten habe, sondern Erklärungen zu Zeugenaussagen machen könne. Der Angeklagte sagt, er habe sich ja direkt auf die Zeugenaussage bezogen und behauptet: “Für die Wahrheit interessiert sich ja in Deutschland keiner”. Die Vorsitzende sagt, dass werde sie nicht weiter diskutieren, dafür sei der Gerichtssaal nicht der richtige Ort. […]
RA Jan Siebenhühner wendet sich an den Angeklagten und sagt, er habe es auch schon einmal den Kollegen auf seiner Seite erklärt, dass der Gerichtssaal dafür da sei, sich mit den Taten des Angeklagten zu befassen und dass seine Auffassungen dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen würden. Er solle sich doch am besten mit seinen eigenen Taten auseinandersetzen, da spiele irgendein Geschichtswissen keine Rolle. Der Angeklagte sagt, es spiele doch eine Rolle, wenn ihm Volksverhetzung vorgeworfen werde. RA Siebenhühner erwidert etwas, doch die Vorsitzende beendet die Diskussion. Sie fährt fort mit der Vernehmung der Zeugin H. und ihrer Rechtsanwältin Dr. Lang.
Befragung der Zeugin Naomi H.
RAin Dr. Kati Lang, die Anwältin der Nebenklägerin Naomi H., sagt, sie würden dem Angeklagten keine Bühne für seinen Antisemitismus bieten, sie würden sich dies hier nicht anhören. Die Vorsitzende begrüßt Frau Naomi H. und belehrt sie über ihre Zeugenpflichten. Die Aussagen der Zeugin werden aus dem Englischen übersetzt. H. wird zu ihren Personalien befragt. [XXX, Personalien, Anm. democ.]
Die Vorsitzende bittet die Zeugin, erst einmal in freier Rede von ihren Erlebnissen am 9. Oktober zu berichten. Die Zeugin erklärt zunächst: “I decided against testifying in German because testifying in English helps to detach from the pain that my family has experienced throughout generations.” Dann beginnt sie ihr Statement mit einem Zitat von Heinrich Heine: “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”. Sie erzählt, sie komme aus einer Familie die seit dem frühen 17. Jahrhundert tief in Deutschland verwurzelt sei. “They worked hard towards being accepted. Nevertheless, my family paid a bitter price for that, believing that antisemitism and National Socialism in particular would just be a phase that would pass. A part of my family made it out of Germany just in time, while my immediate family stayed for too long. Despite the atrocities they had to live through, they decided to remain in Germany and to rebuild their lives in post war Germany, and also to contribute to the reconstruction of a new Germany. All of that while trying to leave the dark and painful chapter behind them.” Sie sei in dem Glauben erzogen worden, dass die deutsche Nation ihre Lektion aus der Vergangenheit gelernt habe. Und gleichzeitig habe sie um die Geschichte ihrer Familie gewusst. “But with time, my confidence faded away”. Als sie älter wurde, habe sie nicht mehr beantworten können, warum ihre Familie geblieben sei. Sie habe selbst unangenehme Erfahrungen gemacht und habe auch von Anfeindungen gegenüber anderen Minderheiten gehört. Wenn sie ihre Familie im Ausland besuchte oder neue Menschen kennen gelernt habe, sei sie immer gefragt worden: “How can you live in the country of the perpetrators?”. Die Zeugin erzählt: “I decided that I couldn’t any longer. I made my way to Israel and eventually decided to stay. I immigrated and began to build my life there, with a certainty that I would not return to Germany. Why should I?”
2018 habe sie dann von der Eröffnung einer neuen Rabbinats-Ausbildungsstätte in Berlin gehört. Sie sei nicht davon begeistert gewesen, in Deutschland zu studieren, aber dieses Programm sei ihr wie die richtige Wahl erschienen. Wenn es die Rabbinats-Ausbildungsstätte nicht gegeben hätte, so wäre sie im Ausland geblieben. “But the idea to contribute to the revival of jewish life in Germany grew on me”. Und so habe sie sich für die Rabbinats-Ausbildung eingeschrieben. “I saw a calling to carry on my family’s legacy to work towards reconciliation, to build bridges where other people build walls, to work for a better future.” Die jüdische Community in Berlin sei ihr ans Herz gewachsen, weshalb sie beschlossen habe, ihren Besuch in Israel zu verkürzen. Ursprünglich habe sie geplant gehabt, Jom Kippur in Israel zu verbringen. Sie habe ihre Freunde und Mentoren, Rabbiner Jeremy B. und Rabbinerin Rebecca B., in ihrer Arbeit unterstützen wollen, eine Gemeinde zu erneuern, die immer älter geworden sei. Dann sei das Attentat passiert.
“There has been much said about the experience of that day, about the surreal feeling, about the absurd treatment of the police, as well as about the sense of belonging.” […] Sie sei während fast aller Verhandlungstage anwesend gewesen und habe den Aussagen von Zeugen, vom Schwager des Angeklagten, von seinem Mitbewohner, von Sachkundigen und von Fachleuten des BKAs zugehört. Die Zeugin sagt, sie würde nun gern auf Heines Zitat, “Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht”, zurückkommen. “I am saying this because the course that we are currently taking is deeply troublesome.” Trotz der Tatsache, dass die Tödlichkeit der Waffen im Detail besprochen worden sei und wie nah der Angeklagte seinem Ziel gekommen sei, sie zu ermorden, gebe es immer noch die etwas verdrehte Idee, “that it was a door that prevented worse from happening, and that saved our lives. That is factually incorrect.” Der Angeklagte habe Splitterbomben über die Mauer geworden, die Menschen hätten töten können. Es komme ihr so vor, als würden diese Tatsachen von den Medien ignoriert werden. Stattdessen würden sie lieber auf die Geschichte der “guten Tür”, aus “guter deutscher Eiche” zurückgreifen. Dieses Narrativ sei den realen Geschehnissen unangemessen und es würden davon ablenken, was wirklich passiert sei. “This need, to find the one good german who managed to save the life of Jews, does not belong here. Instead I would like to see german governmental structures and german society at large really rethinking what they are doing to protect their minorities and the most vulnerable members of their society. The sense of safety and security – neither I nor the jewish community, nor anyone, should have to ask for that. In a constitutional state, the governing entities have to ensure the safety of their citizens.”
Sie könne nicht verstehen, wie die BKA-Beamten mit gutem Gewissen sagen könnten, dass sie ihr bestes getan hätten, um das Online- und Gaming-Verhalten des Täters zu ermitteln. […] Sie hätten sich keine Imageboards angesehen, nicht die Spiele ausprobiert, die B. spielte und nicht auf die Ähnlichkeiten mit den Anschlägen auf der ganzen Welt in Oslo, Utøya, Christchurch, El Paso, München oder dem Mord an Walter Lübcke geachtet. Die Narrative, die das Fundament für diese schrecklichen Taten bildeten, seien nicht genauer untersucht worden. Der Angeklagte habe öfter klar gemacht, dass er nur ein kleines Rädchen im größeren Geschehen sei.
“To most Germans, even in this court, Jewish life in Germany seems to be something that died out, that is part of the past. […] I would like to work towards a Judaism that is open, that is alive and kicking, that is in dialogue with its surrounding and that is engaged in society.” Sie würde sich gern in einer Synagoge zu Hause fühlen, sich dort wohl fühlen. “I would like to ask everyone present in this room: if you would know that you need to equip your home with bulletproof doors and windows, how comfortable would you feel living in this place that you currently call your home?” In den letzten Tagen habe sie viel über diese Frage nachgedacht. Die Sicherheitsmaßnahmen um die Synagoge herum, würden nicht dazu führen, dass sie sich sicherer fühle. Sie fände es eher alarmierend und bekomme das Gefühl, das irgendwas am Diskurs in der Gesellschaft nicht stimme. “I’d like to continue my family’s legacy and build bridges where others build walls.” Das Ziel sei, eine bessere Gesellschaft aufzubauen, die auf Respekt, Liebe und gegenseitiger Wertschätzung aufgebaut sei.
Die Vorsitzende bedankt sich bei der Zeugin und fragt sie, ob sie vorhabe, hier zu bleiben und ihre Rabbinatsausbildung zu beenden. Sie antwortet, dass sie derzeit noch nicht sicher sei. Sie befinde sich gerade noch in der Ausbildung, wisse aber längerfristig nicht wohin es sie verschlage. Sie fühle sich durch die Ereignisse der jüdischen Gemeinde hier eng verbunden, aber Israel sei der Ort, wo sie sich am sichersten fühle.
Der Angeklagte ergreift das Wort und richtet sich an die Zeugin. Er sagt, sie wolle Brücken statt Mauern bauen, und fragt, ob sie von einer Brücke oder von einer Mauer geschützt worden sei. Die Frage wird sofort von der Anwältin der Zeugin, RAin Lang, beanstandet. Die Vorsitzende sagt, das sei keine Frage, sein Rechtsanwalt könne ihm das erklären.
Es folgt eine 10-minütige Unterbrechung.
Befragung des Zeugen Alexander R.
Anschließend wird der Zeuge Alexander R. begrüßt, über seine Zeugenpflichten belehrt und zu seinen Personalien befragt. [XXX, persönliche Daten, Anm. democ.] Die Vorsitzende sagt, sie hätte den Zeugen geladen, weil sie von einigen Besuchern der Synagoge berichtet bekommen wolle, was sie am 9. Oktober erlebt hätten. Sie fragt den Zeugen, ob er Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Halle sei. Dieser bejaht, er sei seit 20 Jahren Mitglied der Gemeinde. Die Vorsitzende fragt ihn, ob er eine Aufgabe in der Synagoge habe. Der Zeuge sagt, er unterstütze den Kantor bei der Toralesung an der Bima [von der Bima wird die Thora verlesen, Anm. democ.] und helfe beim Gottesdienst. Es gibt ein Missverständnis, weil die Vorsitzende “Beamer” verstanden hat, sie fragt den Zeugen ob er technische Unterstützung leiste. Dieser stellt klar, dass er keinen Beamer bediene, sondern der Tisch gemeint sei, wo die Tora liegt.
Der Zeuge sagt, Jom Kippur sei ein besonderer Tag für Juden, ein strenger Fastentag, man dürfe nicht essen und nicht trinken. Er habe sich am Tattag in der Synagoge befunden und wie immer dem Kantor bei der Lesung der Tora geholfen. Dann habe er irgendwelche Bewegungen gesehen, was normalerweise nie passiere, weil alle aufs Gebet konzentriert seien. Dann habe er eine wachsende Spannung bemerkt und gesehen, dass Leute durch die Synagoge gegangen seien. […] Er sei zum Wachmann gegangen und habe dort auf den Monitor geguckt. Dort habe er einen Mann mit einer Waffe gesehen, der zweimal auf die Tür schoss. Er habe ein bisschen seitlich zum Monitor gestanden. Der Attentäter sei sehr dunkel gekleidet gewesen, als ob er eine militärische Uniform trüge. Dann hätten sie alle mitgekriegt, dass es sich um einen Angriff auf die Synagoge handelte. Sie hätten dann versucht die Türen zu verbarrikadieren und die Leute in Sicherheit zu bringen.
Die Vorsitzende fragt ihn, ob er auch eine Waffe gesehen hätte. Der Zeuge bejaht, er habe die Flinte gesehen. Der Mann habe zweimal auf die Tür geschossen und dabei so komische Bewegungen gemacht. Die Waffe sei keine automatische gewesen, der Mann habe immer laden müssen oder so etwas. Der Zeuge sagt, er sei dann zurückgegangen und sie hätten die Verbarrikadierung der Tür mit Stühlen und anderen Gegenständen organisiert. Danach hätten sie auf die Polizei gewartet. Er hätte keine Uhr und kein Handy bei sich gehabt, es sei schwer zu sagen in welcher Reihenfolge alles geschehen sei. Er habe erst relativ spät mitbekommen, was passierte, weil er so auf das Gebet konzentriert gewesen sei. […] Die Vorsitzende fragt, ob er Kontakt mit Polizeibeamten gehabt habe. Der Zeuge antwortet, Kontakt habe er nur an jenem Tag gehabt. Die Vorsitzende sagt, sie hätten jetzt schon mehrfach gehört, dass es ein Problem war, dass die Synagogenbesucher so wenig Informationen bekommen und nicht gewusst hätten, was genau abliefe. Der Zeuge bestätigt das. Es habe zuerst überhaupt keine Informationen geben, erst viel später dann seien sie informiert worden. […] Er sagt, er sei dann mit zwei anderen Synagogenbesuchern ins Polizeirevier gebracht worden, während die anderen ins Krankenhaus fuhren. Dort habe Jom Kippur dann geendet. Die Vorsitzende sagt, laut Vernehmungsprotokoll habe seine Vernehmung um 16:55 Uhr begonnen. Der Zeuge sagt, das könne sein. Die Vorsitzende fragt ihn, ob er an diesem Tag auch Familie mit in der Gemeinde gehabt habe. Der Zeuge sagt, seine Tochter sei mit ihm dort gewesen. Sie sei dann ins Krankenhaus gebracht worden, von wo er sie dann abgeholt habe. Die Vorsitzende fragt, ob er gewusst habe, dass seine Tochter im Krankenhaus sei. Er bejaht das. Er sei nach der Vernehmung erst einmal nach Hause gefahren, habe sie von dort mit dem Handy angerufen und dann aus dem Krankenhaus abgeholt. Auf die Frage nach dem Alter seiner Tochter, sagt er, sie sei 21 Jahre alt. Die Vorsitzende bittet ihn, zu berichten, wie es ihm danach ergangen sei. Er antwortet es habe viele Angebote für psychische Rehabilitation gegeben, vom “Weissen Ring”. Die Jüdische Gemeinde habe für ihre Mitglieder eine Fahrt mit einem Psychologen organisiert, er habe aber nicht teilgenommen, weil er habe arbeiten müssen. Er habe kein so starkes Trauma davongetragen und benötige keine psychologische Hilfe. Er lebe das ganz normale Leben weiter und sei eigentlich nicht psychisch getroffen, er habe nicht so stark gelitten. Die Vorsitzende sagt, das sei ja bei jedem Menschen anders, man könne vorher nicht wissen, wie man reagiere. […] Sie fragt danach, wie es seiner Tochter ergangen sei. R. sagt, bei ihr sei auch alles relativ gut. Er finde, so müsse es bleibe. Die Vorsitzende fragt, ob sich das Gemeindeleben verändert hat. Der Zeuge sagt, natürlich habe es sich verändert. Es gebe jetzt mehr Sicherheitsmaßnahmen und die Polizei stehe vor der Synagoge. Das mache die Mitglieder nervös, „aber so ist unser Leben“. Die Vorsitzende fragt, ob das Attentat also eine große Überraschung für ihn gewesen sei. Er sagt, es sei ein unerwartetes Ereignis gewesen, dass so etwas in einer Stadt wie Halle passiere. Die Vorsitzende fragt, warum da an dem Tag kein Polizeischutz gewesen sei und ob sie sich als Gemeinde da Gedanken gemacht hätten. Der Zeuge sagt, die Polizei sei sicher gewesen, dass nichts passiere und hätte gesagt, dass die Situation unter Kontrolle sei. […] Jetzt würde die Polizei ständig da stehen, anders als vor der Tat. Der jüdische Kalender sei ja eigentlich bekannt, zumindest an den Feiertagen hätte auch vor der Tat jemand da sein sollen.
Die Vorsitzende fragt, ob er mit anderen Gemeindemitgliedern darüber gesprochen habe, warum keine Polizei da gewesen sei, als er zur Synagoge gekommen sei. Er verneint, das sei kein Thema gewesen, weil schon lange keine Polizei vor der Synagoge gewesen sei. Es sei normal gewesen, dass da niemand da war. […] Die Vorsitzende sagt, man habe von den Berliner Besuchern gehört, dass sie es gewöhnt seien, dass jüdische Einrichtungen bewacht seien. Sie fragt ihn, ob er mit ihnen Kontakt gehabt habe. Der Zeuge verneint das, er sei aber auch in anderen Gemeinden in München und Darmstadt gewesen und da stünden am Schabbat zwei Beamte mit Fahrzeug, auch schon in der Zeit vor dem Attentat. Er finde, auch vor der Halleschen Synagoge hätte schon vor der Tat ein Polizist positioniert sein sollen.
RAin Assia Lewin richtet sich an den Verteidiger RA Thomas Rutkowski. Sie sagt, sie habe beobachtet, wie er etwas vom Bildschirm abgeschrieben habe, was nicht für die Öffentlichkeit gedacht gewesen sei. Sie werde ihn persönlich dafür haftbar machen, wenn das an seinen Mandanten gelange. RA Rutkowski sagt, er könne sie beruhigen, er habe nichts abgeschrieben und sie könnten draußen noch einmal darüber sprechen.
Es folgt eine Mittagspause bis 13:15 Uhr. Die Verhandlung wird pünktlich fortgesetzt.
Die Vorsitzende sagt, RA Goldstein habe ausrichten lassen, dass er erst um 14:00 Uhr komme und darum bitte, erst dann mit der Vernehmung des Zeugen Max Privorozki zu beginnen, weil er diesen persönlich kenne. Sie werde deshalb noch eine Unterbrechung einlegen.
Die Vorsitzende sagt, sie habe ein Schreiben der Leiterin der JVA Burg ausgeteilt. Sie liest aus dem Schreiben vor. Bezugnehmend auf die gerichtliche Verfügung vom 17. August werde in der Anlage die Gefangenenpersonalakte des Angeklagten überreicht. Naturgemäß seien der Personalakte eines Untersuchungsgefangenen nur dann Hinweise zum vollzuglichen Verhalten zu entnehmen, wenn es zu Auffälligkeiten gekommen sei. Da B. bisher kein auffälliges Verhalten gezeigt habe, seien auch keine Auffälligkeiten dokumentiert. […] Die Vorsitzende sagt, zu den Vorkommnissen am 30. Mai seien in den Personalakten keine Unterlagen enthalten [Ausbruchsversuch des Angeklagten, Anm. democ.]. Die Unterlagen zum 30. Mai lägen im Justizministerium vor und würden von dort angefordert. In der Gefangenenpersonalakte seien unheimlich viele Formulare und Beschlüsse drin, es seien aber auch ein paar Einschätzungen des psychologischen Dienstes enthalten. Sie werde die Akte für das Verfahren bezogen auf die relevanten Teile erstellen lassen – anhand der Seitenzahlen könne man dann sehen, was nicht kopiert worden sei. Das würde sie dann zur Einsicht auslegen. Sie fragt nach dem Einverständnis der Prozessbeteiligten.
RAin Antonia von der Behrens sagt, sie sei grundsätzlich einverstanden, bitte aber darum die Akte nicht zurückzuschicken, sondern die Gelegenheit zu geben, noch einmal direkt in dieser nachzuschauen, da die Einschätzung der Wichtigkeit ja auch einmal differieren könnte. Die Vorsitzende sagt, das werde sie so machen. Sie werde die Akte erst zurückschicken, wenn alle die Gelegenheit gehabt hätten, sich das anzuschauen.
Verteidiger RA Hans-Dieter Weber sagt, er würde gerne die Gelegenheit haben, als erster die Akte einzusehen. Nebenklagevertreterin RAin Dr. Kati Lang sagt, sie bestehe darauf, die Akte zuerst einzusehen, da sie ja den Antrag gestellt habe. Die Vorsitzende schlägt vor, sie könnten sie ja zusammen einsehen. RAin Lang sagt, das möchte sie nicht. Die Vorsitzende gibt RA Weber die Gelegenheit, seine Argumente vorzutragen.
RA Weber sagt, die Akte betreffe in erster Linie den Angeklagten und er würde sie auch wegen einer eventuellen Beanstandung als Erster einsehen wollen. Nebenklagevertreterin RAin Kristin Pietrzyk entgegnet, es obliege nicht der Verteidigung, Einfluss auf den Inhalt der Akten zu nehmen. Das Argument der Verteidigung gehe insofern fehl.
Oberstaatsanwalt Stefan Schmidt sagt, die Akte sei ja schon beigezogen, gegebenenfalls könne noch Beanstandung gegen die Vervielfältigung erhoben werden. Das gehe aber auch bei einer anderen Reihenfolge der Einsichtnehmenden. Die Vorsitzende sagt, das müsse sie sich noch überlegen.
Es folgt eine Unterbrechung bis 14 Uhr.
Aussage des Zeugen Max Privorozki
Die Vorsitzende begrüßt den Zeugen Max Privorozki und seinen Rechtsbeistand RA Tobias Böhmke. Sie belehrt Herrn Privorozki über seine Zeugenpflichten. Ein Übersetzer unterstützt ihn, falls etwas nicht ganz klar sein sollte. Der Zeuge wird zu seinen Personalien befragt. [XXX, Personalien, Anm. democ.] Auf die Frage nach seinem Beruf, antwortet Privorozki, er sei Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Halle.
Die Vorsitzende fragt ihn, wie lange er diese Amt schon bekleide. Er antwortet, er sei schon seit 1999 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde und seit 2002 auch deren Geschäftsführer. Die Vorsitzende bittet ihn, zu schildern, wie Jom Kippur normalerweise abgelaufen sei, vor dem Oktober letzten Jahres. Sie fragt, ob Kontakt zu Polizei bestanden und wie das Sicherheitskonzept ausgesehen habe.
Der Zeuge sagt, Kontakt zwischen der Polizei und der Jüdischen Gemeinde habe es immer gegeben. Sie hätten eine spezielle Kontaktperson gehabt und sich regelmäßig mit dieser Person unterhalten. Das sei nicht so oft wie jetzt gewesen, aber Kontakt habe es immer gegeben. Es habe keine speziellen Termine bezüglich bestimmter Ereignisse gegeben, sie hätten einfach regelmäßig Kontakt gehabt, auch mit dem Polizeidirektor von Halle. Regelmäßig bedeute ein- bis zweimal im Jahr.
Was das Sicherheitskonzept anbelange, habe es eine regelmäßige Prüfung der Sicherheitslage durch die Sicherheitsbehörden gegeben. Die Sicherheitslage sei von der Polizei geschätzt worden und dementsprechend sei über Maßnahmen entschieden worden – die Jüdische Gemeinde sei dabei nicht einbezogen worden. Die Entscheidung sei ohne ihre Mitsprache bei der Polizei getroffen worden, sie seien dann benachrichtigt worden. […] An Feiertagen habe kein Polizeiwagen vor der Tür gestanden. „Wir haben uns daran gewöhnt, dass es in Halle so läuft und wir haben deshalb unser Sicherheitskonzept unabhängig von der Polizei selber erstellt.“ Ein Punkt sei gewesen, dass die Eingangstür zum Grundstück stets geschlossen gewesen sei, was auch am 9. Oktober eine Rolle gespielt habe.
Die Vorsitzende fragt, was bei den Treffen mit der Polizei besprochen worden sei. Der Zeuge antwortet, dass die Sicherheitslage nach bestimmten Kriterien mit Zahlen bewertet werde. Ihnen sei dann gesagt worden, dass es ausreiche, dass ein Polizeiauto unregelmäßig an der Synagoge vorbeifahre und kontrolliere, ob alles in Ordnung sei. So sei die Situation fast immer gewesen, dass hätten sie so zur Kenntnis genommen. Ab und zu, insbesondere nach Ereignissen wie dem Anschlag in Berlin auf den Breitscheidplatz im Jahr 2016, hätten Gemeindemitglieder Befürchtungen geäußert, dass sowas auch in Halle passieren könne. Er habe das an die Polizei weitergeleitet, aber die hätte gesagt, dass sie die Lage kontrollierten und die Situation in Ordnung sei. Man könne selbstverständlich kaum erwarten, dass so etwas passiere.
Die Vorsitzende kommt auf den 8. und 9. Oktober zu sprechen. Sie fragt den Zeugen, wie der Tag sich für ihn gestaltete habe und was das Sicherheitskonzept der Gemeinde gewesen sei. Der Zeuge sagt, das Sicherheitskonzept an Jom Kippur sei das gleiche wie an allen Feiertagen und am Schabbat gewesen. [XXX, Angaben zum Sicherheitskonzept, Anm. democ.]
Die Vorsitzende fragt, wie der Kontakt zu der Gruppe zustande gekommen sei, die sich für Jom Kippur aus Berlin angekündigt hatte. Herr P. antwortet, der Kontakt sei über den Kantor zustande gekommen, der auch in Berlin wohne. Der sei ein junger Mann, kenne viele Leute und habe ihm erzählt, dass es eine Gruppe von jungen Menschen gebe, die gerne mit ihnen in Halle Jom Kippur feiern wollten. Er habe das sehr gut gefunden, weil viele ihrer Besucher ältere Menschen seien, und wenn zwanzig junge Leute dazukämen, sei das sehr vorteilhaft für die Gemeinde. Er sei sehr froh gewesen, dass in diesem Jahr an Jom Kippur etwas anders sein würde.
Die Vorsitzende fragt, wie sich der Tag für ihn gestaltet habe. […] Der Zeuge sagt, er sei ungefähr um 11 Uhr da gewesen. Er habe einen Schlüssel zur Synagoge, den habe er aber nicht dabei gehabt, weil Jom Kippur gewesen sei. Auch Menschen, die anderen Tagen nicht alles richtig machten, würden an diesem Tag versuchen, möglichst korrekt religiös zu handeln. Er sei angekommen und ihm sei die Tür geöffnet worden. Er sei hineingegangen und man habe dann angefangen, die Tora zu lesen. Er sei zur Tora gerufen worden. Bei der Tora stehe auf der Bima der Kantor, der die Tora liest, und eigentlich noch vier weitere Leute. Das sei relativ eng. Zwei davon seien ständig dort, das seien Menschen die für den Kantor Aushilfe leistetn. Und zwei weitere würden zur Toralesung dazugerufen. Er sei gerufen worden, eine Weile geblieben, dann habe er seinen Platz abgegeben. Es seien viele junge Leute da gewesen, es sei nicht sehr leise gewesen. Im Saal sei viel los gewesen. Er habe auf seinem Platz gesessen, als jemand ihm gesagt habe, dass Herr R. [der Sicherheitsbeauftragte der Gemeinde, Anm. democ.], der am Monitor gesessen habe, ihn sprechen wolle. Er sei zu ihm gegangen und Herr R. habe zu ihm gesagt, dass da draußen etwas los sei, dass es Schüsse oder Explosionen gegeben habe. Er habe auf den Monitor geschaut, alles habe sich relativ schnell entwickelt. Er werde das nie vergessen, er habe gesehen, dass jemand angeschossen bzw. erschossen worden sei. „Jetzt wissen wir, es war Jana“. Sie hätten nicht gewusst, wer das gewesen sei und ob derjenige, der geschossen hatte, ein Guter sei oder umgekehrt. Sie hätten nur gewusst, dass es eine Auseinandersetzung gebe, die auch mit Waffen geführt werde. Sie hätten Explosionen gesehen und auch teilweise gehört, sie hätten nicht gewusst was dort explodierte. Dann habe er auf dem Monitor einen bewaffnete Mann mit Uniform gesehen. Er habe gedacht, das sei ein Guter, also ein Polizist oder ein Kämpfer von einer Spezialeinheit. Aber der Mann habe angefangen, auf die Tür zu schießen, da habe er sofort verstanden, dass es umgekehrt wäre. Er habe dann sofort die Polizei gerufen, was schwer gewesen sei, weil sein Telefon wegen Jom Kippur ausgeschaltet gewesen sei. Er habe erst einmal mit zitternden Händen sein Telefon einschalten müssen und habe dann in der Panik 112 gewählt. Er habe erzählt, dass es einen bewaffneten Anschlag auf die Synagoge in Halle gebe. Dann hätten sie auf die Polizei gewartet.. „Es scheint, dass das eine Ewigkeit war“. Später hab er verstanden, dass die Polizei nach 10 Minuten gekommen sei. […]
Die Vorsitzende fragt, wie die Kommunikation innerhalb der Synagoge gewesen sei. Der Zeuge sagt, er könne nicht sagen, dass jemand die Leitung der Maßnahmen übernommen hätte. Mehrere Männer hätten gleichzeitig die Initiative ergriffen und alle drei Türen der Synagoge seien mit allen möglichen Möbelstücken verbarrikadiert worden. Sie hätten versucht, ältere Menschen und Frauen zu verstecken, es gebe im Haus einige Räume wo man sich verstecken könne. Als der erste Polizeiwagen auf dem Monitor zu sehen gewesen sei, sei das eine Erleichterung gewesen. Er habe die Polizei nach 10 Minuten auf dem Monitor gesehen.
Die Vorsitzende spricht an, dass Privorozki in der Vernehmung gesagt habe, dass es weiteren Telefonkontakt gegeben habe. Der Zeuge erklärt, er habe nach dem Anruf bei der Polizei gleich den Zentralrat der Juden in Deutschland informiert, damit die Information möglichst schnell in allen jüdischen Organisationen bundesweit bekannt werde. Er habe nicht gewusst, ob es sich möglicherweise um eine organisierte Aktion gehandelt habe, die auch in anderen Städten laufe. Der Zentralrat habe die Information sofort an alle Gemeinden weitergeleitet. Dann habe Privorozki seine Familie angerufen und seine Frau gebeten, seine Töchter zu informieren. Er habe auch Mitarbeitern der Gemeinde, die zu Hause gewesen seien, Bescheid gesagt, damit sie die Familien der Synagogenbesucher informieren sollten, dass die unmittelbare Gefahr vorbei sei. Sie alle in der Synagoge hätten nicht gewusst, wie viele Attentäter es gegeben habe und an wie vielen Orten geschossen worden sei. Sie hätten nur über sein Handy Kontakt zur Außenwelt gehabt. Die Vorsitzende sagt, sie habe gesehen, dass er auch Kontakt mit Herrn F. von der Polizei gehabt habe. Der Zeuge bejaht das, Herr F. sei der jahrelange Ansprechpartner vor dem 9. Oktober gewesen. Er habe ihm gesagt, dass alle Polizeibeamten mit dem Fall beschäftigt seien und dass er von der Polizei kontaktiert werde. Es sei klar gewesen, dass er im Einsatz gewesen sei und nicht lange mit ihm habe sprechen können. Die Vorsitzende fragt, ob ihm geraten worden sei, in der Synagoge zu bleiben. Max Privorozki sagt, er habe allen Menschen, die im Hof gewesen seien, gesagt, dass sie wieder in den Gebetssaal kommen sollten. Dann hätten sie spontan entschieden, den Gottesdienst fortzusetzen. Er sei allerdings draußen an der Tür geblieben, weil er immer wieder habe telefonieren müssen. Es habe ständig Anrufe gegeben, unter anderem vom amerikanischen Generalkonsul, der israelischen Regierung und der Presse. Er sei ununterbrochen von verschiedenen Organisationen und Bekannten angerufen worden. Auch die Polizei habe einige Male Kontakt aufgenommen, aber das sei wesentlich später gewesen. Die Vorsitzende fragt, ob er die Infos, die er erhalten habe auch an die anderen Gemeindebesucher weitergeleitet habe. Der Zeuge sagt, er habe nur die Anweisungen der Polizei weitergeleitet. Die Vorsitzende sagt, sie hätten jetzt mehrfach gehört, dass auch Sprengsätze auf dem Gelände verteilt gewesen seien. Sie fragt ihn, welche Informationen er dazu von der Polizei erhalten habe. Privorozki antwortet, es sei kein Geheimnis gewesen, dass da Molotovcocktails im Hof gelegen hätten, dass hätten mehrere Menschen auch gesehen. [XXX, Details zu den Spreng- und Brandsätzen, Anm. democ.] Die Vorsitzende fragt, ob er Anweisung von der Polizei erhalten habe, wie sie sich mit diesen Dingen verhalten sollten. Er antwortet, die Polizei hätte gesagt, dass sie die Objekte auf keinen Fall berühren und im Haus bleiben sollten. [XXX, Details zu den Spreng- und Brandsätzen, Anm. democ.] Er habe alles übernommen, was den Kontakt mit der Außenwelt betroffen habe – alles andere hätten andere Menschen in den Griff bekommen. Dafür sei er dankbar. Es habe einen Mann gegeben, der habe rausgehen wollen, als der Attentäter noch da gewesen sei, um ihn zu entwaffnen. Sie hätten ihn aufgehalten. Es gebe unterschiedliche Reaktionen bei unterschiedlichen Menschen. Die Vorsitzende sagt, es habe einen Roboter gegeben, der die Sachen [Brand- und Sprengsätze, Anm. democ.] untersucht und weggeräumt habe. Sie fragt den Zeugen, ob er das mitbekommen habe. Dieser antwortet, sie hätten den Roboter auf dem Friedhofsgelände gesehen, hätten aber nicht gewusst, was der dort mache. Die Vorsitzende fragt, ob nachher weitergebetet worden sei. Privorozki sagt, die absolute Mehrheit sei im Gebetssaal geblieben. Die älteren Menschen seien in den Räumen geblieben, wo sie versteckt worden waren. Sie seien sehr aufgeregt gewesen. Es seien wirklich betagte Menschen. Sie alle hätten sich um sie gekümmert und es sei wichtig gewesen, dass sie etwas zu essen bekommen, auch wenn das nicht erlaubt ist an Jom Kippur. Auch die jüngeren Menschen und er selbst seien nervös gewesen. Er habe den Eindruck, dass die Älteren das psychisch besser überstanden hätten, als die Jüngeren. Er vermute, das habe damit zu tun, dass viele der älteren Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion kämen. Möglicherweise hätten sie noch Erinnerungen an die Zeit im Zweiten Weltkrieg und seien Holocaustüberlebende. „Vielleicht haben die in ihrer Kindheit Sachen gesehen, die auch in Erinnerung bleiben“.
Die Vorsitzende sagt, er sei dann ins Polizeirevier gebracht worden. Der Zeuge bestätigt das, er glaube, das sei nach 16 Uhr gewesen. Die Evakuation sei gut organisiert gewesen, obwohl man es noch besser machen könnte, weil die Presse alles habe beobachten können. Sie seien fotografiert und aufgenommen worden, als sie zum Bus gegangen seien. Er selbst sei zum Polizeipräsidium gefahren, die Hauptgruppe sei mit dem Bus ins Krankenhaus gefahren. Die Polizei habe das Krankenhaus organisiert. Er wisse bis heute nicht, nach welchen Kriterien eine Gruppe zum Krankenhaus und eine andere ins Präsidium gebracht worden sei. Mit ihm im Präsidium sei ein Mann gewesen, der kürzlich einen Herzinfarkt gehabt habe. „Er hätte eigentlich ins Krankenhaus gesollt.“ Im Präsidium sei es dem Mann dann nicht gut gegangen und man habe einen Arzt rufen müssen. […]
Privorozki sagt, es sei damals für sie wichtig gewesen, dass etwas weiter laufe. Sie hätten auch zu der Zeit nicht gewusst, was los war und dass der Attentäter angeblich allein war, es hätte nur unterschiedliche Gerüchte gegeben. Zum Beispiel habe ihm eine Mitarbeiterin erzählt, dass an verschiedenen Orten intensiv geschossen würde. Es hätte ganz unterschiedliche Falschinformationen gegeben, die sie nicht hätten überprüfen können.
Die Vorsitzende fragt, wie er das alles verkraftet habe. Privorozki sagt, am 9. Oktober sei er immer aktiv gewesen und habe keine Zeit gehabt, zu verstehen, was wirklich los sei. Er habe die Informationen weitergeleitet, aber keine Zeit gehabt, diese zu verarbeiten. Es habe viele Anrufe gegeben, auch von der israelischen und der deutschen Regierung. Er habe zum Beispiel mit Benny Gantz [israelischer Generalleutnant und Politiker, damals Oppositionsführer in der isr. Knesset, Anm. democ.] gesprochen. Es habe auch immer wieder Kontakt zu verschiedenen Medien gegeben, er habe wirklich absolut keine Zeit gehabt. Er habe auch Kontakt zu Wolfgang Schneiß gehabt, dem Beauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus in Sachsen-Anhalt. […]
Privorozki berichtet, dass er nicht weit weg vom Hallenser Marktplatz wohne. Als er abends dort war, habe es schon eine spontane Solidaritätskundgebung mit ihnen und den Familien der Verstorbenen gegeben. Es hätten schon hunderte Kerzen dagestanden. Er habe auch eine Kerze hingebracht, da habe er langsam verstanden was los sei. Er habe erfahren, dass zwei Menschen verstorben seien. „Das ist das Schlimmste, was an diesem Tag passiert ist. Das ist das, was nie wieder zurückkommt: zwei Leute, die ihr Leben verloren haben.“ Er habe am nächsten Morgen erst wirklich verstanden, wie nah am Tod sie gewesen seien. Zeit, um darüber nachzudenken, habe er aber nicht gehabt. Um 6 Uhr habe er einem israelischen Radiosender ein Interview gegeben, fast im Minutentakt seien unzählige Anfragen eingegangen. Gleich am nächsten Tag hätten der Bundespräsident und der Innenminister sie besucht, auch Reiner Haseloff [Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Anm. democ.] sei da gewesen. Die Tatsache, dass er die ganze Zeit mit Presse und Politikern beschäftigt gewesen sei, habe ihm geholfen. Einige Rabbiner seien aus Solidarität zu Besuch gekommen, z. B. aus Montréal. Es habe eine spontane Solidaritätskundgebung gegeben, eine Kette von Menschen habe sich zwischen der Synagoge und dem “Kiez Döner” versammelt. Der Zeuge sagt, damals hätten mehr als 2.000 Menschen vor der Synagoge gestanden. „Da habe ich verstanden, dass die absolute Mehrheit der Menschen, ganz normale, gute Menschen sind und dass Menschen wie der Täter eine absolute Minderheit sind. Das ist der Unterschied zwischen dem Jahr 1938 und dem Jahr 2019“. Er erklärt, auch im Jahr 1938 sei die Synagoge von Nazis angegriffen worden, aber dieser Unterschied sei wichtig. „Ich hoffe sehr, dass die jüdische Gemeinschaft, die Demokratie und die Freiheit in unserer Gesellschaft weiter gute Chancen haben, solche Sachen zu überstehen.”
Die Vorsitzende fragt den Zeugen Privorozki, ob er aus dieser Erkenntnis einen Optimismus gewonnen habe, der ihn dazu bewogen habe, keine therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Privorozki sagt, er habe begonnen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber erst ein bisschen später. Es gebe bestimmte Sachen, die er nach dem Anschlag als Veränderung an sich erkenne. Er habe gedacht, dass die Hilfe das vielleicht etwas lindern könne. Als Beispiel für die Wirkung des Anschlags auf ihn führt er die Silvesternacht 2019/2020 an. Die Geräusche seien sehr unangenehm für ihn gewesen. Er habe sich nicht irgendwo im Keller versteckt, aber es sei zum ersten Mal in seinem Leben sehr unangenehm für ihn gewesen. Er könne das nicht beschreiben, aber er sei wütend gewesen, dass geschossen werde. Da habe er verstanden, dass diese Hilfe wirklich nötig sei.
Die Vorsitzende dankt Max Privorozki für die eindringliche Schilderung. Sie sagt, sie würde nun gern mit ihm ein paar Fotos durchgehen, wegen einiger Unklarheiten aus der letzten Woche. [XXX, Angaben zum Synagogengelände, Anm. democ.]
Es wird ein Bild von mehreren möglichen USBVs [Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, Anm. democ] gezeigt. [XXX, Details zum Einsatz der USBVs, Anm. democ.]
Anschließend wird eine vom BKA gefertigte Lichtbildmappe in Augenschein genommen. Es handelt sich um die Dokumentation der Nachsuche auf dem Außengelände der Synagoge. Die Vorsitzende fragt den Zeugen, ob er da auch vor Ort war. Er sagt, entweder er oder jemand anderes seien dabei gewesen. [XXX, Angaben zum Synagogengelände, Anm. democ.]
Es werden Bilder vom Zugang auf den Friedhof gezeigt. Der Zeuge sagt, dass eine Spezialeinheit von der Polizei über die Mauer aufs Friedhofsgelände gekommen sein, als sie sich noch in der Synagoge befunde hätten. Das habe man aus dem oberen Stockwerk gesehen. Die Vorsitzende fragt, was die da gemacht haben. Der Zeuge sagt, das hätten sie nicht gewusst, sie seien selbst sehr überrascht gewesen. [XXX, Angaben zum Synagogengelände, Anm. democ.]
Die Vorsitzende sagt, sie habe keine weiteren Fragen. Verteidiger RA Weber erhält das Wort und sagt, ihm stelle sich noch eine Frage. Er will wissen ob die Türen zur Synagoge offen gewesen seien. [XXX, Angaben zu Sicherheitsvorkehrungen, Anm. democ.]
Nebenklagevertreter RA Erkan Görgülü sagt, der Angeklagte habe sich ja am ersten Verhandlungstag dahingehend eingelassen, dass er nicht gewusst haben will, dass die Synagoge in Betrieb sei und es sich auch um ein Museum hätte handeln können. Er, Görgülü, habe sich die Internetseite der Synagoge angesehen, da stehe ein Monatsplan, man könne dort immer noch den Kalender einsehen. Er würde gern wissen, ob die Angaben, die dort heute zu sehen seien, auch damals schon dort gestanden hätten. Der Zeuge sagt, sie hätten nach dem Attentat aufgehört, den Kalender zu aktualisieren. Davor habe man aber alles über die Gottesdienste in zwei Sprachen lesen können. Es sei alles dort transparent gemacht worden, alle Veranstaltungen wie Gottesdienste oder Seniorentreffen seien regelmäßig aktualisiert worden.
RA Görgülü sagt, da sei Jom Kippur am 9. Oktober 2019 eingetragen, mit der Angabe einer Dauer von elf Stunden. Privorozki sagt, er gehe davon aus, dass das damals schon so da gestanden habe.
RA Böhmke, Privorozkis Anwalt, fragt, wer diese Internetseite jghalle.de betreue. Der Zeuge antwortet, er mache das. Er habe die Seite nicht programmiert, aber er betreue sie zu 95 Prozent. Die Frage, ob auf der Internetseite auch deutlich werde, welches Gebäude als Synagoge genutzt werde, bejaht der Zeuge. Im Impressum gebe es die ganzen Infos, was die Gemeinde betreffe und da sehe man auch die Anschrift von Gemeindezentrum und Synagoge. Der Zeuge wird gefragt, ob man, wenn man eine Internetrecherche durchführe, zu dem Ergebnis gelange, dass das von ihm als Synagoge genutzte Gebäude ein Museum sei. Privorozki antwortet, wenn man verstehe, was das Wort Synagoge bedeute, verstehe man was in einer Synagoge passiere. „Da finden Gottesdienste statt, das ist ganz normal“.
RA Böhmke sagt, er würde seinem Mandanten gern die Gelegenheit geben, etwas zu seiner Motivation zum Nebenklageverfahren zu sagen. Privorozki sagt, das sei sehr wichtig für ihn. Es sei für ihn nicht selbstverständlich gewesen, als Nebenkläger aufzutreten. Er habe überlegt, ob er das möchte und brauche und habe sich dann doch entschieden, das zu tun. Dafür habe es zwei Argumente gegeben: Nachdem er in den Medien gelesen habe, wie der Prozess ablaufen würde, habe er verstanden, dass vielleicht das zweite Argument noch wichtiger sei, als das erste – deshalb beginne er damit. Er sei selbst Vater von zwei Töchtern und es habe unterschiedliche Zeiten gegeben, Jugendliche seien manchmal schwierig. Es habe auch Situationen gegeben, wo er als Vater seiner Tochter die Möglichkeit gegeben habe, sich etwas zu kaufen, um Ruhe zu haben. Aber er habe immer im Auge behalten, was seine Tochter mache, das sei selbstverständlich. Er bekomme immer Rechnungen, wenn mit seiner Kreditkarte etwas bezahlt werde. Er könne sich kaum vorstellen und glaube gar nicht, dass es möglich sei, dass jemand jahrelang mit seiner Mutter zusammenlebt, so einen Anschlag heimlich vorbereitet und Mutter und Vater nicht Bescheid wissen. Er wolle gern glauben, dass die Eltern nicht wussten, dass gerade an Jom Kippur 2019 die Synagoge in Halle angegriffen werden solle. „Aber ich bin absolut überzeugt – und das sage ich der Bundesanwaltschaft – dass es nicht möglich ist, dass die Eltern keine Ahnung hatten, dass ihr Sohn etwas vorbereitet“. Ihr Sohn habe keine Arbeit gehabt und sei finanziell vollständig von den Eltern abhängig gewesen. Er fragt, wie es sein könne, dass man so eine Operation vorbereitet, ohne dass die Eltern sich Gedanken machen, dass so etwas möglich wäre. Dass erinnere ihn ein bisschen an Erklärungen, die er in der ehemalige UdSSR mehrmals gehört habe. Manche, die früher ein paar Kilometer von nationalsozialistischen KZs entfernt gelebt hätten, hätten behauptet, dass sie nicht wussten was passierte, obwohl der Rauch aus dem Krematorium einfach zu beobachten war. […] Privorozki sagt, er gehe davon aus, dass die Menschen es damals nicht wissen wollten, so wie diese Eltern nicht wissen wollten, was ihr Sohn vorbereitete. Er hoffe sehr, dass die Rolle der Eltern im Rahmen des Prozesses noch stärker zum Thema gemacht werde. […] Wenn ein Kind in der Familie so ein Gedankengut von Kindheit an mitbekomme, wundere es ihn nicht, dass so etwas passieren könne. Er könne nicht verstehen, wie jemand der so ein Gedankengut hat, als Lehrerin in einer Schule tätig sei könne. Es gebe auch andere Kinder und die würden zuhören zu, was die Lehrerin sage.
Anschließend erklärt er sein erstes Argument [um sich als Nebenkläger am Prozess zu beteiligen, Anm. democ.]. Es gebe viele Antisemiten auf der Welt. Das sei für ihn schon immer ein Rätsel gewesen. Er fragt, wie es dazu komme, dass jemand der antisemitisch sei – und es sei nicht verboten, Juden nicht zu mögen – sich entscheide, so etwas zu tun. Es sei eine Sache, wenn man jemanden mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen „Rasse“ oder einer Glatze nicht möge. „Die andere Sache ist, diesen Menschen anzugreifen und zu ermorden. Das sind zwei verschiedene Sachen. Für mich ist es wichtig zu verstehen, wie es zu diesem Umschlagen im Kopf des Attentäters gekommen ist, sodass er vom ‚normalen‘ Antisemiten zum Mörder wurde. Das zu verstehen, sei auch für andere Situationen wichtig. „Wie kann jemand einen anderen Meschen ermorden, nur weil er anders ist als ich?“ Er habe gehofft, als Nebenkläger mehr Möglichkeiten zu haben, zumindest zu versuchen, das zu verstehen.
Eine Nebenklagevertreterin fragt den Zeugen, wie hoch der finanzielle Schaden war, der durch den Anschlag entstanden ist. Er antwortet, er habe das nicht nachgerechnet. Es sei wahrscheinlich falsch über den finanzielle Schaden zu sprechen. „Der höchste Schaden sind zwei Menschen die umgebracht wurden und das kann man in Geldwert nicht messen.“ Der finanzielle Schaden falle im Vergleich zu diesem anderen Schaden absolut außer Betracht. Tür und Tor der Synagoge seien kaputt, was man auch auf dem Video sehen könne – aber das sei nicht wirklich das Thema, das sie interessiert habe. Zudem sei der finanzielle Schaden auch ein indirekter. Sie müssten sich jetzt anders absichern und wesentlich mehr in die Sicherheit investieren. Vieles müssten sie noch ändern, andere Sachen hätten sie schon geändert – das koste Geld.
Eine andere Nebenklagevertreterin fragt, ob jetzt mehr oder weniger Menschen in die Synagoge kämen. Der Zeuge sagt, es sei schwer zu messen, ob wegen des Anschlags mehr oder weniger Menschen kämen. Für ihn sei der wichtigste Tag der erste Schabbat nach dem Anschlag gewesen. Es seien viele Menschen in die Synagoge gekommen, auch junge Leute, die jahrelang nicht mehr in der Synagoge gewesen seien, Leute aus Berlin und Mönchengladbach, sowie mehrere Rabbiner. Sie seien gekommen, um sie zu unterstützen. Es seien 2.000 Menschen gekommen [zu einer Solidaritätsveranstaltung vor der Synagoge, Anm. democ.]. Das seien ganz normale Menschen gewesen, die sich hätten solidarisch zeigen wollen, das sei die Hauptsache. Was den Alltag betreffe, sei es schwer zu sagen, da wegen der Corona-Auflagen momentan ohnehin nur wenige Leute gleichzeitig in die Synagoge kommen dürften. Sie hätten die älteren Menschen, die am 9. Oktober da waren, gebeten erst einmal vom Gottesdienst fernzubleiben, weil sie zur Risikogruppe gehören und sie nicht riskieren wollen würden, dass etwas passiere. Sie hätten keine Veranstaltung abgesagt, die jüdischen Kulturtage seien sehr gut besucht gewesen. „Das Leben geht weiter“.
Eine Nebenklagevertreterin sagt, Privorozki habe sehr eindringlich von der Solidarität erzählt, die sie erfahren hätten. Sie fragt ob sich daraus irgendwelche Interaktionen oder Projekte, auch mit der Nachbarschaft, ergeben hätten. Der Zeuge antwortet, es gebe immer wieder an Schabbat in einigen Fenstern gegenüber Plakate und Aushänge mit Solidaritätsbekundungen. Es habe eine Kinderkundgebung gegeben, wo 3.000 bis 4.000 Kinder aus den Halleschen Schulen zur Synagoge gekommen seien. Das sei wichtig, weil die Kinder die Zukunft dieses Landes seien.
Auf die Frage, ob er sagen würde, dass die Gesellschaft gestärkt aus dem Anschlag hervorgegangen sei, antwortet er, hätte es die zwei Mordopfer nicht gegeben, würde er das vielleicht bestätigen. Seine Einstellung zur Situation in der Gesellschaft sei wesentlich optimistischer geworden nach dem Anschlag.
Die Bundesanwaltschaft sagt, die Polizei habe 10 Minuten gebraucht bis sie vor Ort gewesen sei und fragt, ob er das für zu viel halte. Der Zeuge sagt, für ihn sei es zu spät, der Innenminister sehe das möglicherweise anders. Im Nachhinein seien alle klüger, das sei klar. Am 9. Oktober habe es sich angefühlt wie ein oder zwei Stunden. „Wir wussten nicht, ob man die Tür durchkriegt, es wurde geschossen. Es war eine Ewigkeit.“ Erst später habe er dann in Ruhe die Zeit zwischen dem Anruf bei der Polizei und dem Moment, als er die Polizei auf dem Monitor sah, gemessen. Die Vorsitzende fragt, ob das Thema im Nachhinein nochmal mit ihm als Gemeindevertreter analysiert worden sei. Privorozki antwortet, es sei mit der Polizei und dem Innenministerium besprochen worden. Dabei sei es aber meistens mehr um die Zukunft als um die Vergangenheit gegangen. Der Zeuge sagt, er sei immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, wie der Anschlag in der Gemeinde aufgenommen worden sei. Bei der Mitgliederversammlung im Dezember habe es keine einzige Frage zum Attentat gegeben. Es habe sehr viele Fragen gegeben, die die Sicherheit für die Zukunft betroffen hätten. Er gehe also davon aus, dass diejenigen, die in der Synagoge gewesen seien, das nicht brauchen würden und diejenigen, die nicht dort gewesen seien, hätten genug Anstand, zu verstehen, dass diejenigen die dort waren, nicht sehr gern darüber sprächen. […]
Die Vorsitzende fragt den Zeugen, ob er wisse, wann die letzte Gefährdungsanalyse vor der Tat erstellt worden sei. Privorozki antwortet, er wisse nicht wie oft das gemacht worden sei und wer das gemacht habe. Er wisse nur, dass ein Polizeischutz der Synagoge im Ergebnis nicht für notwendig befunden worden sei. Nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz in Berlin im Jahr 2016, hätten sie in der Synagoge Chanukka gefeiert. Damals hätten sie wirklich Angst gehabt, es seien wesentlich mehr Leute als an Jom Kippur 2019 anwesend gewesen. Damals habe er explizit um Unterstützung gebeten, was er eigentlich sehr selten gemacht habe und sie sei ihnen nicht gegeben worden, mit der gleichen Erklärung, es sei nicht nötig. Seitdem hätten sie entschieden, nach ihren Möglichkeiten selber Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.
Nebenklagevertreter RA Christoph Günther sagt, er habe eine Frage zum Tor, das kaputt gegangen sei. Auf einem der in Augenschein genommenen Bilder sehe man einen Roboter vor dem Tor stehen. Er fragt, wie das Tor geöffnet worden sei. Der Zeuge antwortet, der Roboter sei stark genug gewesen, um das Tor zu öffnen. Danach hätten sie es reparieren müssen, das hätten sie nach dem Anschlag mit dem Sprengstoff aber ohnehin gemusst. Der RA sagt, Privorozki habe gesagt, dass er etwas positiver in die Zukunft schaue. Er fragt, wie in der Halleschen Gemeinde das Sicherheitsgefühl sei, generell in diesem Land. Privorozki antwortet, das sei eine schwierige und eine individuelle Frage. Er könne nur über sich selbst reden. Jeder Mensch habe sein eigenes Empfinden. […] Er könne nicht über die Gefühle von allen Menschen in der jüdischen Gemeinde sprechen. Er fühle sich seit dem 9. Oktober hier wesentlich mehr zu Hause als zuvor, weil er gesehen habe, dass die absolute Mehrheit der Menschen – ganz egal, welcher Hautfarbe oder Religion – alle gegen Hass, gegen Mord und gegen Nazis geeint seien.
Verteidiger RA Weber erhält das Wort. Er sagt, dass der Angeklagte gern eine Einlassung zum Vorhalt des Nebenklageanwalts RA Görgülü machen würde. Die Vorsitzende entlässt zunächst den Zeugen. Sie bedankt sich bei ihm, dass er da war und so ausführlich über die Geschehnisse in der Gemeinde berichtet habe. RAin Lang fragt, ob es sich um eine “257er-Erklärung handele” [Erklärung nach § 257 StPO: “… Nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe.”, Anm. democ.], oder um eine Einlassung zur Sache. RA Weber sagt, es gehe um eine 257er-Erklärung. […] Der Vorhalt sei ein Zitat von einer Internetseite gewesen, die Antwort des Zeugen sei nur gewesen, dass dieser das nicht bestätigen könne. Sein Mandant wolle sich dazu erklären. Die Vorsitzende fragt, ob es also doch eine Einlassung zur Sache sei. RA Weber bejaht, „dann machen wir beides draus“.
Es folgt ein 15-minütige Unterbrechung.
Der Angeklagte Stephan B. sagt, RA Görgülü habe Privorozki nach einer Internetseite gefragt. Er habe schon in seiner Einlassung gesagt, dass er diese nicht gekannt habe. Privorozki habe außerdem gesagt, dass jede Synagoge als solche verwendet werde. Das stimme einfach nicht, in Deutschland gebe es viele historische Stätten.
RA Böhmke sagt, sein Mandant habe nicht gesagt, dass jede Synagoge so benutzt werde. Er habe gesagt, dass auf der Internetseite angegeben sei, welches Gebäude als Synagoge genutzt werde. B. widerspricht, der Zeuge habe allgemein gesagt, dass Synagogen für Gottesdienste verwendet würden. Die Vorsitzende fragt ihn, ob er denn andere Synagogen kenne. Der Angeklagte überlegt und sagt, Erfurt habe eine, die ein Denkmal sei. Das habe er einmal irgendwo gelesen. Die Vorsitzende fragt, ob es noch weitere Fragen gebe.
Nebenklagevertreter RA Onur Özata fragt den Angeklagten, ob er schon mal eine Reise ins Ausland unternommen habe. Dieser verneint, er habe nicht viel Urlaub gemacht. Er sei einmal kurz in Frankreich gewesen, da sei er aber nur kurz über die Grenze gefahren. Das sei ein Tagesausflug als Jugendlicher gewesen. RA Özata fragt, ob er andere touristische Reisen innerhalb Deutschlands unternommen hätte. Der Angeklagte antwortet, er sei als Kind einmal an der Ostsee gewesen, das sei alles gewesen.
Die Vorsitzende sagt, sie würde die Internetseite, von der die Rede war, jetzt mal näher beleuchten. Sie bittet OStA Schmidt beim BKA jemanden zu fragen, der sich damit auskenne, denn wenn sie die Seite jetzt aufrufe, sehe sie den Ist-Zustand.
Inaugenscheinnahme von Lichtbildern (Wohnorte des Angeklagten)
Anschließend wird eine Lichtbildmappe in Augenschein genommen, die Fotos von der gemeinsamen Wohnung des Tatverdächtigen und dessen Mutter enthält. Die Mappe wurde am 15. Oktober vom BKA-Beamten Herrn M. erstellt, die Aufnahmen stammen vom 9. Oktober.
Es werden Bilder von der Vorder- und Rückseite des Wohnhauses, vom Zugang zur Wohnung und den Innenräumen auf den Monitoren im Gerichtssaal gezeigt. Darunter befinden sich auch Aufnahmen aus dem Zimmer des Tatverdächtigen. Man sieht ein Regal, einen Kleiderschrank und ein Bett. Auf einer Übersichtsaufnahme eines Holzregals sind Buchungsunterlagen für ein Mietfahrzeug, eine Packung mit vier Chinaböllern und ein Buch über Handwaffen zu erkennen. Es folgen Detailaufnahmen dieser Gegenstände. Danach werden Übersichtsaufnahmen des Kleiderschrankes gezeigt, auf denen u. A. Militärkleidung und ein Stahlhelm zu sehen sind. Die Vorsitzende fragt den Angeklagten, ob er mehrere Helme besessen habe. Dieser bejaht, er habe den zweiten Stahlhelm mal gegen vier Flaschen Bier eingetauscht. Sie will wissen, ob niemand gefragt habe, was er damit wolle. Der Angeklagte sagt, das sei nur Deko. Die Vorsitzende wundert sich, dass Deko im Schrank liege. B. erwidert, es sei ja nicht jeden Tag Fasching.
Es folgen Lichtbilder vom Computer des Angeklagten und von seinem Bettkasten. In letzterem sind Einweghandschuhe und eine Jacke mit Camouflage-Muster zu erkennen. Die Vorsitzende fragt ihn, ob er die auch normal getragen habe. Der Angeklagte antwortet, das habe er nur selten. Zum Schluss werden Bilder von den zur Wohnung gehörigen Kellerabteilen gezeigt.
Anschließend wird eine weitere vom BKA gefertigte Lichtbildmappe in Augenschein genommen. Darin befinden sich Fotos von der Gartenlaube der Familie des Angeklagten und dem Kleingartengelände, auf dem sich diese befindet. Die Vorsitzende fragt B., ob er die Gartenlaube benutzt habe. Er verneint, er habe sie nicht für seine Sachen genutzt. Er möge die Gartenlaube nicht und sei nur selten da gewesen. […]
Eine weitere Lichtbildmappe beinhaltet Fotos von Haus und Grundstück des Vaters des Angeklagten. Die Aufnahmen stammen vom 10. Oktober, die Mappe wurde am 11. Oktober erstellt. Es werden diverse Übersichtsaufnahmen gezeigt, darunter Bilder der Garage und der Werkstatt auf dem Grundstück. Die Vorsitzende fragt B., ob sein Vater die Metallwerkstatt auch benutzt habe. Dieser sagt, das habe er selten. Wenn, dann habe sein Vater oben in der Holzwerkstatt gearbeitet. Die Vorsitzende fragt, ob das auch das Elternhaus seines Vaters sei. Der Angeklagte verneint, sein Vater habe das Haus nach der Wende gekauft.
Es folgen Aufnahmen von der Holzwerkstatt, die sehr chaotisch aussieht. Die Vorsitzende sagt, das sehe ja eher nach Abstellkammer aus. Danach werden Bilder aus der Metallwerkstatt gezeigt. Sie fragt, ob der Angeklagte die Metallwerkstatt genutzt habe. Dieser bejaht, die sei aufgeräumt. Wenn er irgendwo arbeite, müsse da Ordnung sein. Die Vorsitzende sagt, das sei ja alles sehr akkurat, ob er das so hingelegt habe. B. bejaht, er denke schon. Es wird ein Bild von einer Gasflasche in Augenschein genommen. Die Vorsitzende fragt, was es damit auf sich habe. [XXX, Angaben zur Waffenherstellung, Anm. democ.] Eine weitere Lichtbildmappe enthält Fotos vom Zimmer des Beschuldigten im Haus seines Vaters. B. gibt an, dort nicht übernachtet zu haben. Es folgen Fotos von Sofa, Bettkasten, Kartons, der Auffindesituation einiger Asservate und einem Staubsauger.
Danach werden weitere Fotos von dem Werkstattraum gezeigt, auch darunter Aufnahmen der Auffindesituation von Asservaten. Die Vorsitzende fragt, ob er seine Werkstatt abgeschlossen habe. Der Angeklagte sagt, das habe er hin und wieder wenn sein Neffe da gewesen sei. Es habe nur einen Schlüssel gegeben, der habe dann wahrscheinlich in seinem Zimmer gelegen. Es folgen weitere Aufnahmen vom Obergeschoss der Holzwerkstatt und der Garage des Vaters.
Eine Nebenklagevertreterin erhält das Wort. Sie sagt, die Metallwerkstatt sei in einem sehr aufgeräumten Zustand. Sie fragt den Angeklagten, ob er das immer so gemacht habe oder extra zum Schluss der Arbeiten aufgeräumt habe. B. antwortet, er habe natürlich immer aufgeräumt, aber nicht so gründlich – also er habe normalerweise nicht so stark den Boden gefegt. Die RAin fragt, ob er also auch Waffen und Ausrüstungsgegenstände weggeräumt habe. Der Angeklagte antwortet, die hätten nicht in der Werkstatt sondern in seinem Zimmer im Bettkasten gelegen.
Die Vorsitzende beendet die Sitzung und sagt, am nächsten Tag beginne die Verhandlung um 9.30 Uhr mit den Zeugen Frau W. und Herr H.
Veröffentlicht am 25. September 2020.