AktuellesVon Queerfeindlichkeit zu Antisemitismus: Rechte Propaganda gegen CSDs

Was haben Antisemitismus und Queerfeindlichkeit miteinander zu tun?

Jedes Jahr finden im Sommer und Herbst in deutschen Städten verschiedene Christopher Street Days und Pride-Paraden statt. Zum einen wird die Sichtbarkeit und Vielfalt von queeren Menschen gefeiert, zum anderen wird gegen Diskriminierung und Ausgrenzung protestiert. Im Sommer und Herbst 2024 wurden diese Veranstaltungen in einem bislang unbekannten Ausmaß von rechtsextremen Gruppen gestört. In 27 Städten kam es zu Gegendemonstrationen, bei denen es teilweise zu verbaler und auch physischer Gewalt kam. Die gemeinnützige Organisation CeMAS hat dazu einen Bericht veröffentlicht.

Viele der Gruppen, die an den Demonstrationen beteiligt waren, sind 2024 zum ersten Mal öffentlich aufgetreten. Auffällig war das teilweise sehr junge Alter der Teilnehmenden und eine Ästhetik, die stark an die 1990er- und frühen 2000er-Jahre erinnert – auch als „Baseballschlägerjahre“ bekannt.

Diese Gruppen haben sich im vergangenen Jahr vergrößert, untereinander vernetzt und geografisch breiter aufgestellt. Seit Ende Mai mobilisieren sie wieder gegen Pride-Paraden und CSDs in ganz Deutschland. Ende Mai fand der erste CSD in Dresden statt, zu dem unter anderem die Jungen Nationalisten (JN) mobilisierten. Auch im Juni und Juli kam es bereits zu mehreren Demonstrationen und für die Monate August und September sind weitere Aufrufe in verschiedenen Städten angekündigt.

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Telegram: jungenationalisten

Mobilisiert wird häufig unter dem Vorwand des sogenannten „Kinderschutzes“ – gegen eine vermeintliche „Frühsexualisierung von Kindern“ und für traditionelle Familien- und Ehemodelle. Der Aufruf zu den Gegendemonstrationen der JN lautet in diesem Jahr: „Familie, Heimat & Nation statt CSD & Perversion.“ Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Wörter „CSD“ und „Perversion“ in einer Schrift gestaltet sind, die stark an Hebräisch erinnert. Hebräisch ist die Sprache, die heute vor allem in Israel und von Jüdinnen und Juden gesprochen wird. Das „C“ erinnert an den Buchstaben „Kaf“, auch die Punktierung zur Vokalisierung der Buchstaben (Niqqud) ist im Schriftbild des JN-Aufrufs zu erkennen.

Design ohne Titel
Telegram: jungenationalisten

Online werden Sticker und Banner mit der Aufschrift „Aus Anne wird Frank, das ist doch krank“ verkauft. Daneben ist eine traditionelle Familie zu sehen, die sich mit einem Regenschirm vor den Regenbogenfarben schützt. Ein anderer Post zeigt erneut die Familie mit Regenschirm und vier Forderungen gegen queeres Leben. Über der Karikatur steht: „(((Sie))) wollen dich schwul, schwach und krank halten, weil der starke, freidenkende Deutsche ihre größte Gefahr darstellt.“

Warum Anne Frank, die hebräische Schrift und die drei Klammern um das Wort „Sie“?

Die Ideologie hinter diesen Gegendemonstrationen ist in erster Linie queerfeindlich und antifeministisch. Gleichstellung, queere Identität, sexuelle Vielfalt und feministische Positionen werden abgelehnt. Häufig geht diese Ideologie jedoch auch mit Antisemitismus einher, insbesondere durch verschwörungsideologische Erzählungen. Antisemitische Verschwörungsmythen wie der sogenannte „Kulturmarxismus“ oder der „große Austausch“ behaupten, dass eine globale Elite – oft als jüdisch markiert – durch Feminismus und Einwanderungspolitik gezielt unsere Gesellschaft, unsere Kinder und die traditionelle Familie unterwandern wolle. Laut dieser Erzählung soll die „weiße“ Bevölkerung Europas aussterben und durch muslimische oder nicht-weiße Menschen ersetzt werden. Diese Erzählung ist sowohl rassistisch als auch antisemitisch.

Begriffe wie „Frühsexualisierung“ oder „LGBTQ-Lobby“ stehen für ein Weltbild, das Antisemitismus mit Queerfeindlichkeit verknüpft und gezielt Ängste vor dem Verlust von Familie und Tradition schürt. Die Wahl einer hebräisch anmutenden Schrift für Begriffe wie „CSD“ oder „Perversion“ sowie der Name „Anne Frank“ auf dem Sticker sind kein Zufall. Sie spielen auf eine antisemitische Verschwörungserzählung an, nach der jüdische Eliten hinter Queerness, Feminismus und sogenannter „LGBTQ-Propaganda“ stehen – ebenso wie hinter der Erzählung vom „großen Austausch“. Ziel sei angeblich die Zerstörung der traditionellen deutschen Familie und ihre Ersetzung durch nicht-weiße und muslimische Menschen.

Die drei Klammern um das Wort „Sie“ sind ein antisemitischer Code, der seit etwa 2014 genutzt wird und aus dem Umfeld des Alt-Right-Blogs „The Right Stuff“ stammt. Die Klammern – auch „Echo“ genannt – werden verwendet, um Personen als jüdisch zu markieren oder ihnen eine angeblich jüdische Identität oder „nicht-weiße“ Agenda zu unterstellen. Die Idee dahinter: Jüdische Namen würden durch angebliche wiederkehrende und "schädliche" Handlungen wie ein Echo durch die Geschichte hallen. In diesem Fall, wird also mit den Klammern suggeriert, dass “Sie”, jüdische Menschen sind, die die deutsche Gesellschaft „schwul, schwach und krank halten“ wollen.

Immer wieder tauchen auch Begriffe wie „Degeneration“ oder „Entartung“ auf, wenn es um queere Menschen oder alternative Familienformen geht. Diese Worte stammen direkt aus dem Vokabular der Nationalsozialisten und stehen für den angeblichen Niedergang eines Volkes. Die Vorstellung eines gesellschaftlichen Zerfalls durch „moderne Lebensweisen“ knüpft bewusst an nationalsozialistisches Denken an.


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